: „Ich nenne den Staudamm die Berliner Mauer Indiens“
■ Der Narmada-Damm symbolisiere jene Mechanismen, die Arm und Reich voneinander trenne, sagt die indische Schriftstellerin Arundhati Roy
taz: Warum engagieren Sie sich in der Debatte um die Narmada-Staudämme? Gibt es eine Verbindung zwischen Ihrem Buch und diesem Protest?
Arundhati Roy: Es gibt jede Menge Verbindungen. Wie Estha und Rahel, die Hauptfiguren meines Romans, bin ich am Ufer eines Flusses aufgewachsen. Und mir war klar, daß der Kampf am Narmada-Fluß eine Bruchstelle der indischen Gesellschaft darstellt. Ich nenne den Staudamm die Berliner Mauer Indiens, ein Symbol für jene Mechanismen, die Reiche und Arme, Städte und Dörfer voneinander trennen. Daher engagiere ich mich.
Sie haben das Preisgeld von Booker an die Protestbewegung NBA gestiftet. Welche Auflagen haben Sie an seine Verwendung geknüpft?
Ich habe keinerlei Bedingungen an das Geld geknüpft. Die Empfänger wissen schon, wie sie es verwenden, darauf vertraue ich. Ich möchte ausdrücklich nicht, daß man mich deswegen als noble Person hinstellt. Vergessen Sie bitte nicht: Für die Einnahmen aus dem Verkauf meines Buches mußte ich einen noch viel höheren Betrag als Einkommensteuer entrichten. Mir graut bei dem Gedanken, daß dieses Geld dazu benutzt wird, weitere Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben.
Sie waren selbst im Narmada-Tal. Was haben Sie gesehen?
Symbolhaft für das, was im ganzen Flußtal geschieht, sind die Zustände im ehemaligen Dorf Kevadia, wo die Infrastruktur für die Bauarbeiten am Sardar-Sarovar-Damm installiert wurde. Etwa 1.000 Adivasi-Familien (das sind die Ureinwohner, Anm. d.R.) wurden allein für diese Arbeiterstadt von ihrem Land und aus ihren Häusern vertrieben.
Was machen die Adivasi jetzt?
Sie schuften heute als Hausangestellte in jenen Gästehäusern, die auf ihrem Land gebaut wurden. Vierzig Prozent der enteigneten Ländereien werden aber gar nicht genutzt, dennoch weigert sich die Regierung, das Land an seine ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben. Ich habe von Maklern gehört, die Regierungsgebäude privat auf eigene Rechnung vermieten.
Die Befürworter des Narmada-Projektes meinen, einige müßten eben Opfer bringen, damit die gesamte indische Nation prosperieren kann.
Die offizielle Position lautet: Für das Wohlergehen der Nation müssen einige Opfer bringen – aber wir bitte nicht! Ich habe entdeckt, daß dies ein Mythos ist. Von wegen begrenzte Opfer für nationalen Fortschritt. Das Gegenteil ist wahr: Die ganze Nation leidet, damit eine kleine, elitäre Schicht profitieren kann.
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Engagement?
Viele Leute beschimpfen mich und sagen: 'Glaubst du, nur weil du den Booker-Preis gewonnen hast, hättest du das Recht, die Regierung zu kritisieren?‘ Andere Leute, die meinen Roman lieben, raten mir davon ab, mich in kontroverse Debatten um Atomwaffen und Staudämme einzumischen, das schade meiner Reputation als Schriftstellerin. Aber warum soll ich auf Nummer Sicher gehen? Den Booker kann mir niemand nehmen. Ich genieße es auch nicht wirklich, berühmt zu sein, daher brauche ich keine Rücksicht auf meine Reputation zu nehmen. Ich genieße es, in die Schußlinie zu treten und das Feuer zu erwidern. Interview: Rainer Hörig
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