: Kein Volk von Betrügern
■ Erster bundesweiter Datenabgleich ergibt, dass nur zwei Prozent unrechtmäßig Sozialhilfe beziehen. Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) für genetischen Fingerabdruck bei Asylbewerbern
Das mittlerweile gängige Vorurteil des Sozialhilfeschmarotzers muss revidiert werden: Nur ein sehr geringer Anteil der Berliner Sozialhilfeempfänger bezieht zu Unrecht Sozialhilfe. Das ist das Ergebnis eines erstmals durchgeführten bundesweiten Datenabgleichs des Verbandes der deutschen Rentenversicherungsträger in Würzburg.
In Berlin erhalten derzeit 281.000 Sozialhilfeempfänger Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Würzburger überprüften bei den Arbeitsämtern, den Bezirksämtern und den Renten- und Unfallversicherungen, ob die Empfänger im dritten Quartal letzten Jahres zusätzliche Leistungen zur Sozialhilfe bezogen hatten. Das war zwar in rund 114.000 Fällen der Fall, aber darunter waren nur 2.309 Menschen, die unrechtmäßig Sozialhilfe bezogen – weil ihre Rente zum Beispiel zu hoch war. „Das ist eine Quote von 2,2 Prozent. Wir sind kein Volk von Betrügern“, sagte Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) gestern, als sie die Zahlen vorstellte. „Die Mehrzahl der Empfänger ist ehrlich.“
Von den 2.309 unlauteren Sozialhilfeempfängern waren 1.929 geringfügig Beschäftigte. Ihr Arbeitgeber hatte sie dem Arbeitsamt gemeldet, durch den Datenabgleich war der zusätzliche Verdienst aufgefallen. Menschen, die sich zur Sozialhilfe schwarz etwas dazuverdienen, wurden nicht erfasst. „Wir haben darüber keine konkreten Zahlen“, so Hübner.
Ein Anhaltspunkt kann die „Verbindungsstelle Soziales“ bieten. Sie konnte für den Zeitraum Februar bis Juni insgesamt 1.129 Fälle von Leistungsmissbrauch im Zusammenhang mit Schwarzarbeit feststellen. Die Schadessumme betrug 1,04 Millionen Mark.
Nach Angaben von Sozialsenatorin Hübner entstand durch den Sozialhilfemissbrauch im Jahr 1998 ein Gesamtschaden von 4,4 Millionen Mark. Hübner wies darauf hin, dass die „schwarzen Schafe“ befürchten müssten, dass ihnen die Sozialhilfe komplett gestrichen werde. Sie appellierte an die Bezirke, gegen den Missbrauch von Sozialleistungen konsequent vorzugehen. Das täten bislang noch nicht alle Ämter. Die ermittelte Missbrauchsquote liege in Kreuzberg bei nur 0,1 Prozent, in Friedrichshain dagegen bei 15,8 Prozent.
Um Verstöße insbesondere gegen das Asylbewerberleistungsgesetz besser aufspüren zu können, plädierte Frau Hübner für den umstrittenen „genetischen Fingerabdruck“. Mit dem derzeitigen Datenabgleich seien „kriminelle Energien“ wie Doppelidentitäten und die Mehrfachanmeldung von Kindern nämlich nicht überprüfbar. Nur 81 Asylbewerber waren bei der Würzburger Untersuchung aufgefallen.
Eine bessere Kontrolle erhofft sich die Senatorin darüber hinaus von dem voraussichtlich ab Herbst 2000 möglichen Datenabgleich auch mit Kfz-Zulassungsstellen, Unterhaltsvorschusskassen, Wohnungsämtern, Meldestellen und Ausländerbehörden.
Julia Naumann
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