: Berührungsangst und Lust im Cyberspace
Bewegungsstudien zur künstlichen Zärtlichkeit: Wenn sich der Körper im virtuellen Raum auflöst, wie gestaltet sich dann das Verhältnis von Liebe und Körper, also Sexualität und Berührung? Der zeitgenössische Videoclip macht dazu Vorschläge ■ Von Sebastian Handke
Seit den Anfängen der kybernetischen Revolution befindet sich William Gibsons „Cyberspace“, im Aufbau und verheißt die Beseitigung der Informationsbarriere zwischen Geist und Maschine durch die Beseitigung des Körpers. Wenn der Körper (über-)flüssig werden soll, was bleibt dann übrig für das Verhältnis von Liebe und Körper beziehungsweise von dem sie verbindenden symbiotischen Mechanismus (Luhmann) Sexualität? Die hybridmediale Anästhesie an den Fransen des Interfaces soll jedenfalls den Körper schnellstmöglich zum Verschwinden bringen. Wenn das Stoffliche zum Hologramm wird, gerät es in den Fokus optischer Kontrolle und Verfügbarkeit; im Anschluss an die Vorstellung von der Auflösung der Materialiät wird dann die Frage nach dem Verbleib von Körperlichkeit und Taktilität in solchen Sphären virulent.
Der zeitgenössische Videoclip macht dazu Vorschläge. Der Kollaboration des verspielten Wortvirtuosen Busta Rhymes und des R 'n' B-Pop-Superstars Janet Jackson war selbstverständlich nur ein „teuerstes Video aller Zeiten“ angemessen, und so wurde für die gemeinsame Single „What's it gonna be“ von einem ganzen Technikerstab eine Stätte von kalkuliert visueller Prächtigkeit erschaffen. Es ist zuallererst der technische Stand der Bildbearbeitung, der sich hier selbst in Szene setzt (und die Bedingung für seine schon morgen einsetzende Veralterung mitliefert).
Aber sowohl Rhymes als auch Jackson sind Künstler, deren selbstinszenatorische Verhandlung von „Subjektivität“ in besonderem Maße über die Thematisierung des Körpers stattfindet, der sich hier nun in Beziehung setzen muss zu einem körperlosen Cyber-Raum, in dem alles sehr silbern, sehr sauber und sehr virtuell ist.
Dem Zuschauer wird zunächst eine disneyfizierte „Bug's Life“-Version des Geschlechterkampfes vorgeführt: Zwei chromblitzende Roboterarmeen, streng nach Geschlecht getrennt, lösen sich aus der Tunnelarchitektur. Sie sind einerseits einem sich phallusartig durch den Raum schlängelnden anorganisch-flüssigem Wurmmonster (Rhymes) zugeordnet und einer Frauengestalt im Ganzkörper-Lederkostüm (Janet Jackson) andererseits. Schließlich kommt es zum Zusammentreffen, bei denen der muskulöse Körper von Busta Rhymes und der korsettierte Körper von Janet Jackson verschmelzen und in einer silberflüssigen Dispersion aufgehen. Die Bilder vertrauen auf ihren schreienden Schauwert – aber sie lassen selbst den angesichts solcher technischen Brillanz Begeisterungsfähigen unbefriedigt zurück, denn diese hochgerüstete Pixelschlacht ist eine vollkommen unsinnliche und sinnlose Utopie von der alle organischenWiderstände hinter sich lassenden Körperverschmelzung.
Die isländische Intensitätsforscherin Björk ist momentan ebenfalls auf Sendung mit dem Videoclip zu „All is Full of Love“. In einem mit künstlichem Licht ausgeleuchtetem, hermetischen Raum werden zwei Androiden zusammengesetzt und verkabelt von Roboterarmen, die den Maschinen an den assembly lines der Autoindustrie nachempfunden sind. Eine einfache, mechanische Technik fertigt selbst ihre nächste Evolutionsstufe. An entsprechender Stelle der Musik finden sich die beiden in vorsichtig-zärtlicher Umarmung wieder. Regisseur Chris Cunningham, der bereits mit seinen visuellen Dichtungen zu Madonnas „Frozen“ und vor allem den alptraumhaften Visionen zu Aphex Twins „Come to Daddy“ aufgefallen war, bedient sich auch hier aktueller 3-D- und Rendering-Technologie: Sämtliche Bewegungen wurden von der Special-Effects-Schmiede Glassworks nachträglich dazugerechnet.
Aber was für ein Unterschied zum „What's it gonna be“-Clip von Janet Jackson und Busta Rhymes: Der überladenen Zurschaustellung neuer Software-Gimmicks steht hier eine reduzierte „Studie“ gegenüber, deren Fragilität gefangen nimmt. Dort die misslungene Darstellung des sexuell konnotierten Verpuffens in der anorganischen Widerstandslosigkeit des Virtuellen, hier das genaue Gegenteil: die doppelte Entdeckung des Körpers. Die eigene und die fremde Körperlichkeit werden buchstäblich im Augenblick des Zusammengesetztwerdens mit Erstaunen zur Kenntnis genommen und erlernt. Wir erleben androgyne Androiden im Lacanschen Spiegelstadium. Dabei ist das Gegenüber tatsächlich ein gespiegeltes, denn beide tragen die Gesichtszüge Björks, die separat aufgezeichnet und später am Rechner in die Fiberglas-Modelle eingefügt wurden. Dennoch bleibt die Androgynität in der Schwebe: Körperhaltung und Bewegung suggerieren „typische“ Bilder von Heterosexualität.
Schwer zu sagen, wann es das letzte Mal eine derart intensive, fast opernhafte Darstellung von „Wir sind der Welt abhanden gekommen“ gegeben hat. In einer Einstellung saugen die beiden sich geradezu aneinander fest – in der splendid isolation im abgeschlossenen Bereich des Versuchslabors sind sie so sehr mit sich und dem anderen beschäftigt, dass sie die permanente maschinelle Aktivität der Roboterarme, die immer noch mit ihrer Fertigstellung beschäftigt sind, nicht bemerken oder zumindest ignorieren.
Insofern hat dieser Clip auch etwas von einem technischen Messverfahren: die Beobachtung des Experiments „Humanisierung von Technik“; ein Konzept, das gerne auch Björk selbst zugeschrieben wird. Wir nehmen teil an einer Bewegungsstudie. Das sterile Environment kontrastiert mit den „organischen“ Bewegungen der Probanden bei ihrer völlig „menschlichen“ Verbindung. Der Eindruck des Unfertig-geboren-Seins verstärkt die Anthropomorphisierung ganz entschieden: Auch diese Androiden sind zu früh „in die Welt gekommen“.
Die maschinellen Apparaturen scheinen aber nicht nur Fertigungsinstrumente zu sein. Sie kommen von außen und dringen in die Körper ein wie endoskopische Instrumente – gleichzeitig sind sie lebenswichtige Verbindungen, die die Menschmaschinen versorgen und binden.
Der Clip ist ernst, „schön“ und emphatisch; die Aufnahme von Elementen aus dem Arsenal der romantischen Liebessemantik und die Verknüpfung von Liebe und Reinheit (unterstützt durch das Wassermotiv) erstaunen – zumal beim Regisseur von „Come to Daddy“. So ist das: Der zeitgenössische prototypische Kuss findet nicht etwa an Deck in Seenot geratener Ocean-Liner statt, sondern unter Beteiligung zweier – sich liebender? – Androiden. Vielleicht ist sie das, die endgültige Kränkung des „humanistischen Menschen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen