: Die Taiwaner werden immer nervöser
■ Pekings Drohungen gegen Taiwan können die Uneinigkeit der Führung nicht verbergen
Unvermindert setzt China seine militärischen Drohungen gegenüber Taiwan auch knapp einen Monat nach den separatistischen Äußerungen des taiwanischen Präsidenten fort. Zuerst brachten Lokalblätter die jüngsten bedrohlichen Meldungen: In Nordostchina habe die Volksbefreiungsarmee mit Erfolg Panzer getestet, die angeblich über 200 Meter in vier Meter Tiefe „schwimmen“ können, um plötzlich vor dem Feind aufzutauchen und ihn zu vernichten. In der Küstenprovinz Jiangsu bei Shanghai habe der gesamte Militärbezirk einschließlich Reservisten die Mobilisierung geprobt und sei Richtung Südosten – also Richtung Taiwan – in Marsch gesetzt worden. In Zentralchina sei die erste Reservistendivision mit Parolen wie „Mein Blut fürs Vaterland“ aktviert worden.
Dann setzten Pekings Zeitungen in Hongkong die Berichte über Militärbewegungen auf dem Festland fort. Ta Kong Pao, eins von zwei Pekinger Sprachrohren in der Ex-Kolonie, meldete unter Berufung auf anonyme Militärs starke Truppenbewegungen in der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian. Angeblich seien erste Raketen in Stellung gebracht worden.
Bestätigen lässt sich bislang nur, dass in der Taiwan gegenüber liegenden Provinz Fujian Truppen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden. Das kommentierten die zentralen Medien in Peking allerdings mit keinem Wort.
Taiwan reagiert mit wachsender Nervosität. Zuerst dementierten Militärsprecher in Taipeh „besondere“ Truppenbewegungen der kommunistischen Armee. Dann hieß es, man habe Scheinmanöver festgestellt. Als Pekings Absicht, Taiwan mit dauerhaften Drohgebärden zur Räson zu bringen, unverkennbar wurde, bestätigten taiwanische Militärs, dass Kampfflugzeuge beider Seiten seit einer Woche einige hundert Male in den Luftraum der jeweils anderen Seite eingedrungen seien. Taiwan bestätigt auch die von Washington geäußerte Sorge, dass Pilotenfehler die Drohungen schnell zu einer militärischen Auseinandersetzung eskalieren lassen könnten.
Solange Taiwan nicht die Sicht Präsident Lee Teng-huis von zwei chinesischen Staaten in die Verfassung aufnehme, habe die Volksrepublik keinen Grund, die Insel zu überfallen, schrieb Chang Jong-kung. Der stellvertretende Vorsitzende der Festlandforschungsgemeinschaft von Taiwans regierender Kuomintang wollte mit dieser Einschätzung die Bevölkerung beruhigen. Doch Taiwans Regierung kündigte gestern ihrerseits Manöver der eigenen Luftwaffe noch für diesen Monat an.
Für Chinas KP kam der jüngste Taiwan-Konflikt angesichts der innenpolitischen Probleme und der Machtkämpfe in der Führung zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Aufmerksamkeit der Chinesen, verlautete aus dem Reformflügel der KP, solle auf den Wirtschaftsaufbau gerichtet bleiben. Die marxistischen Linken konzentrieren ihre Medienoffensive derzeit gegen die Falun-Gong-Sekte. Beide Lager zeigen wenig Interesse die Bevölkerung mit dem Taiwan-Konflikt ablenken zu wollen. Sie scheinen sich auch nicht einig zu sein, wie sie gegenüber Taiwan vorgehen wollen. Während die Militärs mit Unterstützung der Parteilinken darauf drängen, einen endgültigen Zeitplan zur „Befreiung von Taiwan“ zu verabschieden, will die „neoliberale“ Fraktion um Premier Zhu Rongji eine noch engere Einbindung taiwanischen Kapitals in die Wirtschaft der Volksrepublik erreichen. Für China machen die Investitionen aus Taiwan rund die Hälfte aller auswärtigen Investitionen aus.
Uneinig scheint die Führung in Peking auch in der Bewertung der Reaktion Washingtons. Der Versuch des US-Senats, das Gesetz zur Regelung der Beziehungen mit Taiwan so zu ändern, dass die USA mehr Waffen an Taiwan verkaufen dürfen, konterte Pekings Militäradministration mit einem Landeverbot für US-Militärflugzeuge in Hongkong. Das hatte Peking gerade vor einer Woche aufgehoben.
Dieser konfrontativen Gangart stehen Bemühungen der Moderaten entgegen, die Amerikaner nicht wie 1996 zur Intervention zu zwingen. Damals entsandte Washington zwei Flugzeugträger in die Taiwanstraße. Dafür schweigen sich nicht nur die zentralchinesischen Medien über alle Aktionen der eigenen Armee aus. Auch wird in Peking unter den Tisch gekehrt, dass schon der vierte US-Flugzeugträger im Westpazifik eingetroffen ist, wie Taiwans Central Daily meldete. Shi Ming
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