: Prof. Dr. Beck und der Aschenbecher
Der Tabakkonzern British American Tobacco kauft vier Seiten in „Die Woche“ – und beweist mit großem feuilletonistischen Aufwand nur sein eigenes Ungeschick. Ein leises Kichern ■ von Michael Rutschky
Inzwischen weiß es jeder und kichert. Die British American Tobacco (BAT), die in Germany Lucky Strike ebenso wie Gauloises und Benson & Hedges vertreibt, hat in Die Woche eine vierseitige Anzeige geschaltet – praktisch eine Beilage.
Auf der ersten Seite darf Prof. Dr. Ulrich „Individualisierung“ Beck mal wieder die bürgerliche Gesellschaft feiern, die von keinem bronzeharten Sittengesetz regiert wird, sondern von Freiheit und Selbstbestimmung – hier kichert man vor allem wegen des unglaublichen Honorars, das Prof. Beck kassiert haben wird. Ohne dass er ein einziges Wort über Zigarettenrauchen sagen müsste. Das wird, kichert mein Freund Theckel, Gegenstand der Verhandlungen gewesen sein. Beck: „Aber ich sage kein einziges Wort über das Rauchen in der Risikogesellschaft! Kein einziges Wort! Sonst denkt der Habermas, ich sei käuflich!“ – „Aber selbstverständlich, Herr Professor. Darf's ein Tausender mehr sein?!“
Auf der zweiten Seite immer noch kein Wort über das Rauchen. Hier dürfen junge Menschen ihre eigene Nachdenklichkeit zur Schau stellen, das Wohin der Bundesrepublik betreffend. Die Schauspielerin Sabina Luft (32) aus München ebenso wie der blinde Radiomoderator Christian Besau (26) aus Karlsruhe ebenso wie die Dichterin Kerstin Hensel (38) aus Berlin, ein unangenehmer Bert-Brecht-Klon, die seit der Wiedervereinigung ihre bronzeharte Xenophobie gegen die Westdeutschen kultiviert.
Erst auf der dritten und vierten Seite kommt die BAT zu ihrer Sache. Vorstandsvorsitzender Domitzlaff erläutert, wie in seinem Unternehmen Raucher und Nichtraucher unter den Angestellten aufeinander Rücksicht nehmen in vorbildlicher Weise, und eine Randglosse darf erklären, dass die enormen Risiken des sogenannten Passivrauchens wissenschaftlich keineswegs erwiesen sind. Auf der letzten Seite finden wir endlich eine Zigarettenreklame (die uns aber erklärt, keineswegs gehe das Zigarettenrauchen auf die Zigarettenreklame zurück) sowie einen Blütenkranz von Prunkzitaten, Adese Zabel ebenso wie Ernst-Dieter Lueg, die Nächstenliebe ebenso wie das Sittengesetz betreffend: Das allerletzte Prunkzitat, vierte Spalte rechts unten, ist Immanuel Kants kategorischer Imperativ.
Woher das allgemeine Kichern über diese Sonderbeilage der BAT in der Woche? Es kommt vom Ungeschick. Das Ungeschick entsteht, wenn im Feuilleton, in der Kultur ein Newcomer das Wort ergreift und nicht so recht weiß, wie man das macht beim ersten Mal. Adorno hat dies Ungeschick schon an Friedrich Schiller beobachtet: Der junge Mann, der von unten kommt und mit viel zu lauter Stimme redet, weil er fürchtet, überhört zu werden.
Die BAT redet mit ihrer Verlagsbeilage freilich weniger laut als zu leise, gleichzeitig rechthaberisch („Prof. Dr. Ulrich Beck“) und beleidigt (Gefahren von Passivrauchern unbewiesen). Ungeschick ist schon die strenge Teilung der Seiten in frei schweifende und das Rauchen betreffende: Eben waren wir noch mit Prof. Becks komplett zigarettenfreien Reflexionen über Selbstbestimmung beziehungsweise Kerstin Hensels Westhass befasst – jetzt war das nur der Einstieg, um uns für Toleranz gegenüber Rauchern zu gewinnen – dann sollten wir für den kategorischen Imperativ geworben werden, der, wie gerade der Berlinbewohner weiß, jedwede Intoleranz erlaubt: „Wenn das jeder machen würde?!“ (Bei Rot über die Straße gehen, auf U-Bahnhöfen rauchen, den Hund auf die Straße kacken lassen, laute Radiomusik im Schrebergarten und so weiter und so weiter.)
Das zentrale Ungeschick der BAT-Beilage steckt in ihrer Ambivalenz. Wer fordert Toleranz? Wer dringt auf Selbstbestimmung? Die Raucher? Oder die Nichtraucher?
Ist Rauchen eine Art Behinderung, die Rücksichtnahme verlangt wie die Blindheit des Radiomoderators? Sind fanatische Nichtraucher so etwas wie Rassisten, die auf ihre Weise „Wessis raus aus Ostdeutschland“ fordern? Oder gilt das Umgekehrte: Nichtraucher dürfen von Rauchern mehr Rücksichtnahme und Toleranz fordern, aber eben auf nette und nachdenkliche Art statt xenophob und militant?
Praktisch führt diese Ambivalenz zum Gestus des Pastörlichen. „Nebeneinander miteinander gegeneinander. Vom Umgang mit dem Anderen“, ist Prof. Becks Eingangspredigt überschrieben, und die jungen Menschen von Matthias Wiegele (23), Texter, bis Kerstin Hensel elaborieren ihre Nachdenklichkeit unter dem Titel „Rücksicht im Vorwärtsland“ (das geht natürlich gegen Gerhard Schröder, den das Herrscherlob negativ, als Kanzlerschelte, von Anfang an inflationär anwallte).
Wie gesagt, das Ungeschick entsteht, weil so viele Leute ins Feuilleton drängen und bei den Kulturdebatten mitmachen wollen, ohne schon zu wissen, wie man hier anschlussfähig redet. Gleichzeitig disqualifiziert dies Ungeschick gründlich; wie gesagt: nur Kichern über die BAT-Beilage in der Woche.
Wir sollten ihnen eine zweite Chance geben. Man kann so viel Bedeutendes über das Rauchen und seine tragische Schönheit sagen; es ist so viel Unwiderstehliches über das Rauchen nachzulesen: Unter dem Titel „Cigarettes Are Sublime“ hat ein Amerikaner all diese tragisch-unwiderstehlichen Schönheiten versammelt – weil ich selber seit langem nicht mehr rauchen darf, ist mir der Autorenname ebenso wie der deutsche Titel entfallen. Und dann gibt es da „Zeno Cosini“ (1923), den Roman von Italo Svevo, Freund von James Joyce, der fast nur vom Rauchen handelt, abgewöhnen und wieder anfangen ...
Die BAT sollte ihre nächste diesbezügliche Operation einem Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft anvertrauen.
Ausrisse: „Die Woche“
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