■ Trotz Sonnenfinsternis geht heute die Welt nicht unter. Es wird nur die mit Plutonium betriebene Sonde Cassini justiert, damit sie an der Erde vorbei und nicht in die Atmosphäre hinein fliegt. Ob das Risiko so gering ist, wie die Nasa behauptet, bezweifeln Kritiker: Knapp vorbei
Die Welt geht unter, so viel ist unumstritten. Vom Astrophysiker über die esoterischen Spezies der Satanisten bis zum Bibelgläubigen sind sich darin alle einig. Die Frage ist nur: Wann? Während die Physiker der Erde immerhin noch ein paar hundert Millionen Jährchen geben, bis sie von einer sich stetig aufblähenden Sonne geschluckt wird, sehen andere das Ende mit der heutigen Sonnenfinsternis kommen.
Angesichts dieser apokalyptischen Aussichten erscheinen andere Gefahren unscheinbar. Was ist schon im Vergleich zum Untergang nuklearer Staub, der ein paar hundert, tausend oder auch hunderttausend Krebstote verursachen könnte?
Gefahr genug, findet die Gemeinde der Satellitenbeobachter. In der Nacht vom 17. zum 18. August fliegt die Raumsonde Cassini knapp an der Erde vorbei. Und heute justieren die Controller vom Raumzentrum der Nasa in Houston noch einmal den Kurs des Raumgeschosses, damit es mit seinen 64.000 Stundenkilometern knapp über die Erde hinwegschießt; am erdnähesten Punkt südlich von Westafrika nur noch etwa 1.200 Kilometer über den Köpfen schläfriger Fischer und von da aus weiter, immer weiter bis zum fernen Saturn. Auf einer Flugstrecke von einigen Milliarden Kilometern steuern die Ingenieure die Sonde auf einer Spirale durch das Sonnensystem, um möglichst schnell zum Planeten mit den Ringen vorzustoßen.
Die Reise der Cassini ist eigentlich eine feine Geschichte über die Präzision der Technik. Gäbe es da nicht ein Problem: Die Sonde hat über 32 Kilogramm Plutonium an Bord. Das faustische Element, aus dem auch alle modernen Atombomben gefertigt sind, liefert den Strom für die lange Reise. Und es ist ein giftiger Stoff, dessen Radioaktivität in geringsten Mengen Krebs auslösen kann, wenn er als Staub eingeatmet wird.
Wenn die Nasa den Satelliten nicht genau steuert oder wenn er im entscheidenden Moment der Kurskorrektur nicht richtig funktioniert, dann könnte er in die Atmosphäre eintauchen und verglühen. Die Nasa behauptet zwar, dass das Plutonium in feuersicherer Keramik eingeschlossen ist, aber ob das reicht?
Mindestens ein früher abgestürzter Satellit hat seine Plutoniumfracht in der Atmosphäre verteilt. Und Cassini hat Anfang des Jahres auf dem Weg zu einem ähnlich nahen Vorbeiflug an der Venus schon mal den Kontakt mit den Bodencontrollern eingestellt. Wenn sich 32 Kilo Plutonium über der Erde verteilen, wird es – mit den bei Strahlenkrebsen üblichen jahrelangen Verzögerungen –tausende von Krebskranken geben.
Viele Kritiker fragen sich deshalb, warum es denn radioaktive Batterien sein müssen. Schließlich gibt es auch Sonnenkollektoren, die noch den kleinsten Sonnenstrahl in Strom umwandeln.
Doch davon will die Nasa nichts wissen. Weil derSaturn zehnmal soweit von der Sonne entfernt ist wie unsere Erde, sei dort draußen im tiefen All die Sonne zu schwach, um die maximal 740 Watt elektrischer Leistung für Cassini zu liefern. „Leider hat die Nasa ihre Ingenieure auch nie ermutigt, Solarenerige für Deep-Space-Missionen zu entwickeln“, moniert Jackie A. Giuliano, Umweltprofessor in Los Angeles. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA entwickelt zwar Zellen für einen solchen Zweck. Sie sind aber noch nicht fertig.
Nachdem der Start der Cassini nicht verhindern werden konnte, fordern die Aktivisten des „Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space“ in ihrer „No Flyby!“-Kampagne, die Sonde von der Erde abdrehen zu lassen. Vorstandsmitglied und Physikprofessor Micio Kaku aus New York verlangt, das drei Milliarden Dollar teure Vehikel auf Sonnenkurs zu schicken, um „die tödliche Plutoniumfracht ungefährlich zu verbrennen“.
Das letzte von der Nasa vorgesehene „Bahnkorrekturmaneuver“ vor dem Erdvorbeiflug wäre allerdings heute. Niemand glaubt daran, dass die Nasa ihre teuerste Forschungssonde zur Hölle schickt.
„Für die Plutoniumbatterien sind teilweise Überheblichkeit und Gedankenlosigkeit der beteiligten Wissenschaftler verantwortlich“, sagt Regina Hagen vom Darmstädter Friedensforum. „Es steht aber auch die militärische Agenda im Hintergrund.“
Wenn die US-Militärs in ihren Strategiedebatten von der Beherrschung des erdnahen Weltraums und bewaffneten Satelliten sprechen (wie unter www.spacecom.af.mil/usspace), dann bedeutet das auch immer Plutoniumbatterien oder gar ausgewachsene Atomreaktoren als Energiequelle. Anders können mit bisheriger Technik die enormen Strommengen für eine Waffe nicht geliefert werden. Und warum sollte die Nasa neue Technik entwickeln, wenn ihre Zuliefererfirmen die bewährten Atombatterien ständig verfeinern? So sind in den nächsten Jahren denn auch mindestens acht weitere zivile Missionen mit Plutonium geplant (www-b.jpl.nasa.gov/facts/future).
Um die für die Batterien nötige Plutoniumart 236 auch künftig zu gewinnen, will das zuständige Energieministerium der USA sogar ein neues Labor bauen – für Weltraummissionen und für die nationale Sicherheit, so eine Bekanntmachung vom vergangenen Jahr. „Und die Nasa schafft mit ihren Missionen die Akzeptanz für die Atomenergie im Weltraum“, kritisiert Regina Hagen.
Reiner Metzger
Hintergrundinfos: www.nonviolence.org/noflybyZu den geplanten Missionen und der Situation in Deutschland: www.friedenskooperative.de/themen/cassini.htmKontaktadresse: Regina Hagen vom Friedensforum, Tel. 0 61 51-4 71 14 regina.hagenjugendstil.da.shuttle.de
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