Soleier und Gulasch sind unbeliebt

■  Das Deutsche Rote Kreuz, das immer gegen das Asylbewerberleistungsgesetz protestiert hat, versorgt Flüchtlinge nun mit Fresspaketen

Um 12 Uhr 20 ist die Mülltonne an der Essensausgabe schon voll. In der großen schwarzen Box stapeln sich Plastikteller mit Spinat, Kartoffeln und gekochten Eiern. Der Speisesaal, in dem 200 Leute essen könnten, ist fast leer. Ein Vietnamese sitzt an einem Tisch mit einer roten Plastiktischdecke und isst mit Plastikbesteck.

Fetma Sulgic will heute nichts essen. „Ich mag das nicht“, sagt sie entschuldigend und stochert im Spinat. Um die 25-Jährige scharen sich ihre sechs Kinder. Der drei Monate alte Säugling heult, der Vierjährige will etwas trinken. Sulgic gibt ihm eine Flasche Wasser. Der Kleine stößt sich mit der Flasche an den Zähnen und fängt an zu weinen. Die Mutter schreit ihn an, sie ist überfordert.

Die Frau, eine Rom aus der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina, lebt seit einer Woche im Wohnheim des Deutschen Roten Kreuzes in der Streitstraße im Berliner Außenbezirk Spandau. Vorher, so lässt sie übersetzen, habe sie in einem anderen Heim gewohnt.

Da sei alles besser gewesen. „Ich konnte dort selber kochen“, sagt sie. „Niemand hat mir vorgeschrieben, was ich essen muss.“ Sulgic füttert die Kinder mit Eistückchen und Fladenbrot. Das Pide ist für das Abendessen vorgesehen und wird bereits am Mittag verteilt.

Fetmas Mann sitzt in Abschiebehaft, seine Duldung ist abgelaufen. Die Sulgics sind sogenannte Rück-Rückkehrer. Sie haben Berlin vor einem Jahr verlassen und sind nach Bosnien zurückgegangen. Doch in Bijeljina, ihrer Heimatstadt konnten sie nicht mehr leben, erzählt Sulgic: „Dort wohnten nur noch Serben, auch in unserem Haus. Deshalb sind wir wiedergekommen.“ Mutter und Kinder erhielten Duldungsbescheide.

Im Wohnheim leben zum Großteil Flüchtlinge, die Leistungen nach Paragraf 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes bekommen. Sie gelten damit als „Wirtschaftsflüchtlinge“ – ihnen wird unterstellt, dass sie nur nach Deutschland eingereist sind, um Sozialhilfe zu beziehen.

In dem Heim mit ingesamt 500 Plätzen kommt ein Großteil der BewohnerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien, viele von ihnen sind Kosovo-Albaner, die vor den Nato-Bombardements „illegal“ nach Deutschland einreisten. Auch sie wurden als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft. Laut Gesetz erhalten sie nur dann noch Leistungen, wenn diese „unabweisbar geboten“ sind.

Das ist von Bezirksamt zu Bezirksamt unterschiedlich: Das monatliche Taschengeld von 80 Mark für Erwachsene und 40 Mark für Kinder kann gekürzt oder ganz gestrichen werden, manche Flüchtlinge bekommen keine Wertgutscheine mehr für den Supermarkt und werden stattdessen „vollverpflegt“ .

Seit dem 1. Juli versorgt das DRK als erster Wohlfahrtsverband in drei seiner ingesamt zehn Berliner Heime Flüchtlinge mit Speisen – trotz der vehementen Kritik am Asylbewerberleistungsgesetz in den vergangenen Jahren. So bezeichnete der ehemalige SPD-Bürgermeister und Chef des Berliner DRK, Klaus Schütz, die Verschärfung des Gesetzes, an dem der Berliner Senat maßgeblich beteiligt war, im vergangenen Jahr als „Skandal“. Die Menschen würden regelrecht ausgehungert, sagte Schütz voriges Jahr.

Das Gleiche macht das DRK jetzt indirekt auch: In den Heimen verweigern immer mehr Menschen Gulasch, Pfannkuchen und Eintopf. Vor zwei Wochen haben zehn Flüchtlinge sogar zwei Tage überhaupt nichts gegessen – aus Protest, erzählt Fetma Sulgic.

„Wir halten die Vollverpflegung auch für schlecht, nicht besonders praktikabel und herabwürdigend für die Menschen“, sagt die DRK-Sprecherin Susanne Arabi. „Aber wir haben keine andere Wahl.“ Die Verträge der drei Heime wären nicht verlängert worden, hätte das DRK nicht eingewilligt Vollverpflegung anzubieten. Arbeitsplätze seien gefährdet gewesen.

„Wir haben ein soziales Gewissen“, ist Arabi dennoch überzeugt. Im Heim gebe es zusätzliche Stellen für psychosoziale Beratung und einen Kindergarten. „Und wir setzen niemanden auf die Straße“, sagt Arabi. Die Sozialämter haben rund hundert Flüchtlingen in den vergangenen Monaten sämtliche Kosten für Unterbringung und Verpflegung gestrichen, sie konnten aber trotzdem noch einige Zeit im Heim leben.

Dort fühlen sich die Menschen aber nicht wohl: Die rosafarbenen Wände in den Fluren sind durchgängig mit Parolen und Dreck beschmiert. In den Zimmern leben teilweise bis zu sieben Menschen auf engstem Raum. Auch die sanitären Anlagen sind eine Katastrophe: Urinlachen auf dem Boden, es stinkt erbärmlich.

Wie von einem anderem Stern schieben weißbekittelte DRK-Helferinnen eine riesige Palette Toilettenpapier durch die Flure und verteilen die Rollen an die Bewohner. „Die Albaner“, sagt die 13jährige Jemila, die auch aus Bosnien kommt, „die Albaner pinkeln auf den Boden. Ich finde das eklig.“ Auch sie ist seit vier Monaten wieder zurück in Berlin, hat vorher bereits sieben Jahre in der Hauptstadt gelebt.

Fetma Sulgic geht mit ihren Kindern gar nicht mehr auf die Toiletten. „Wir machen in den Park“, sagt sie. Die Toiletten sollen jetzt erneuert werden

„Die Zustände in der Streitstraße sind menschenunwürdig“, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat. „Die Menschen werden durch die Vollverpflegung total entmündigt.“ Er wirft dem DRK vor, „Dammbrecher“ zu sein. Das Rote Kreuz hätte sich konsquent verweigern müssen, Vollverpflegung anzubieten. Arabi sieht das anders: „Wir sind neutral. Nicht wir, sondern nur die Politik kann daran etwas ändern.“

Fetma Sulgic möchte das Heim so schnell wie möglich verlassen: „Es ist besser, im Wald zu leben als hier.“ Wenn ihr Mann tatsächlich abgeschoben werde, will auch sie nach Bosnien zurückkehren. Zum zweiten Mal. Julia Naumann

Heute protestieren Flüchtlinge und der Flüchtlingsrat um 11 Uhr gegen das Asylbewerberleistungsgesetzt vor der Sozialverwaltung in der Oranienstraße 106 in Kreuzberg.