: Seenlandschaft mit Industriegeschichte
taz-Serie „Der See ruft“ (Teil 2): In Zehdenick, wo die Ziegelherstellung für die Reichshauptstadt mehr als 50 Seen hervorgebracht hat, verbindet ein Technikmuseum die Geschichte mit der Natur ■ Von Sabine am Orde
Am Bahnhof Zehdenick, wo ein Storchenpaar die Ausflügler begrüßt, beginnt die Natur. Der Weg über Mildenberg nach Burgwall führt über sandige Wege und asphaltierte Straßen –vorbei an mehr als 50 meist schilfumrandeten Seen, die links und rechts die Ufer der Havel säumen. In den winzigkleinen Buchten entlang des Weges sitzen Angler mit ihren Ruten, in einer größeren Bucht springen Kinder kreischend ins Wasser.
Nichts erinnert mehr an die Plackerei im Tagebau, durch die die Seen in den vergangenen hundert Jahren entstanden sind. Es sind Tongruben, die sich nach dem Abbau mit Grundwasser füllten. Weil der Ton zu Beginn per Hand mit einem Spaten gestochen wurde, heißen sie Stiche.
Es geht vorbei am Ramin- und am Radke-Stich, an verstreut liegenden Häusern und leer stehenden Ziegelbauten. Den Weg nach Mildenberg weisen drei hohe Schornsteine. Am Ortsrand liegt der Ziegeleipark, ein riesiges Gelände mit zwei denkmalgeschützten Großziegeleien. Mehr als einhundert Jahre lang wurden hier, inmitten einer verschlafenen Landschaft, Ziegel hergestellt, mit denen in Berlin gebaut wurde. Seit 1991 ist damit Schluss. Jetzt versucht der strukturschwache Landkreis, unterstützt mit Bundes- und EU-Mitteln, mit einem Technikmuseum in der Natur seine Industriegeschichte zu vermarkten.
Diese beginnt im Jahr 1887, als beim Eisenbahnbau nördlich von Zehdenick zufällig Ton entdeckt wurde. Weil das Tonvorkommen direkt an der Havel lag und in der Reichshauptstadt Berlin, die explosionsartig wuchs, dringend Baumaterial gebraucht wurde, entstand nördlich von Zehdenick innerhalb von 20 Jahren das größte Ziegeleigebiet Europas. Bereits 1900 kam jeder vierte Ziegel, der in Berlin verbaut wurde, aus Zehdenick. Das Amtsgericht Charlottenburg, Mietskasernen in Wilmersdorf, Charlottenburg, Schöneberg und Prenzlauer Berg und später auch das Stadion der Weltjugend und Teile der Stalinallee, der heutigen Karl-Marx-Allee, wurden aus den gelblichen Ziegeln aus Zehdenick erbaut.
Direkt hinter dem Eingang zum Ziegeleipark liegt der Hafen. Unter einem hellgrünen Kran, mit dem früher die fertigen Ziegel auf Schiffe verladen wurden, sitzen Urlauber auf Motorbooten in der Sonne. Gleich hinter der Kasse dokumentiert eine kleine und anschauliche Ausstellung die Entwicklung des Ziegeleireviers, wie Ziegel gemacht wurden und wie die Ziegler lebten. Ein paar Meter weiter steht einer der riesigen ovalen Ringöfen, in denen die Ziegel gebrannt wurden. „Einer von denen war früher mein Revier“, sagt Joachim Trambow stolz. Der 59-Jährige hat hier in den 50er Jahren Ziegler gelernt und als solcher bis 1991 gearbeitet. Heute macht der Rentner, wie zehn seiner früheren Kollegen, Führungen durch den Ziegeleipark.
„Hier kann man gut sehen, wie Ziegel gebrannt wurden“, sagt Trambow, als er in dem Ringofen steht, den man im Querschnitt anschauen kann. Jahrzehntelang wurde Kammer für Kammer des Ofens mit getrockneten Tonrohlingen gefüllt, erwärmt, gebrannt und wieder geleert in einem endlosen Feuerkreislauf. „Das Feuer war unten und wurde durch den Luftstrom zum Wandern gebracht, die Kohle fiel durch die Öffnungen in der Decke zwischen den Rohlingen hindurch“, erklärt der Ziegler, der zuletzt die Aufsicht über die gesamte Produktion hatte.
Das Schicksal Zehdenicks war stets eng mit dem Geschehen in Berlin verbunden. Wurde dort gebaut, wie zu Beginn des Jahrhunderts und in der Nazizeit, ging es der Region gut. Ging der Berliner Wohnungsbau zurück, wie während der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs, steckten die Ziegeleien in der Krise. Nach 1945 entwickelte sich die Region, deren Betriebe 1951 zum VEB Zehdenick zusammengeschlossen wurden, zum größten Ziegelproduzenten der DDR. Doch als sich die Plattenbauweise durchsetzte, ging die Produktion massiv zurück. Die Wende gab Zehdenick den Rest: Weil sie der Konkurrenz aus dem Westen nicht standhalten konnte, musste 1991 die letzte Ziegelei dicht machen. Die Maschinen aus der DDR-Zeit sind im Museumspark zu sehen.
Heute ist nur noch eine Tongrube in Burgwall in Betrieb. Diese kann mit einer Lorenbahn vom Ziegeleipark aus besucht werden. Wer das Fahrrad vorzieht, folgt den Schienen nach Burgwall, wo einer der schönsten Seen der Tonstichlandschaft mit Steg und Sprungturm zum Baden einlädt. Joachim Trambow empfiehlt Besuchern zwar den Burgwaller Stich, doch er selbst zieht den Maaß-Stich vor. Hier haben seine Kinder schwimmen gelernt, hier hat er 1978 einen Bungalow gebaut, der ihn ganz besonders an die Ziegelei erinnert. Denn damals wurden die Trockenschuppen abgebaut, in denen jahrzehntelang die Rohlinge ihre Feuchtigkeit verloren. „Jeder Kollege konnte zehn Meter Schuppen erstehen“, sagt Trambow, der damals froh über das Baumaterial war. Mit dem Holz hat er seinen Bungalow am See ausgebaut. Beim heutigen Ausflug aber wird in Burgwall gebadet, dann gibt es Bier und Fisch, schließlich steht der Rückweg per Rad und Bahn an. Zurück in Berlin bleibt nur die Frage, ob der Altbau aus Zehdenicker Ziegeln entstanden ist.
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