: „Weltrekordverdächtige Überdosis“
■ Beiratssprecher für Frauen-Gefängnis klagt an: Kranke Insassin soll in eigenen Fäkalien gestorben sein / Ärzte hätten Transport in Krankenhaus abgelehnt / Justizbehörde dementiert
Beiratssprecher des Frauengefängnisses Blockland und der Verein für akzeptierende Drogenarbeit „akzept“ üben heftige Kritik im Zusammenhang mit dem Tod der Insassin Claudia K. an Anstaltsleitung und Ärzten. Beiratssprecher Heinrich Theilmann hat sich eigenen Angaben zu Folge nach Gesprächen mit Insassinnen und der Anstaltsleitung – dazu ist das öffentliche Gremium befugt – folgendes Bild von dem Ablauf der Nacht zum 4. August, in der die HIV-kranke und drogensüchtige Frau gestorben war, gemacht. Demnach sollen die Ärzte eine Verlegung von Claudia K. in ein Krankenhaus abgelehnt haben. Zudem habe die Insassin in „skandalösen Verhältnissen“ die Nacht verbracht und sei an einer „weltrekordverdächtigen Überdosis Methadon“ gestorben.
Nach Theilmanns Angaben sollen andere Insassinnen geschildert haben, dass „ein rapider körperlicher Verfall (...) feststellbar gewesen sei. Frau K. habe an starkem Fieber gelitten und sich vor Schmerzen zeitweise nicht bewegen können. Jede Nahrung, sogar Wasser, habe sie erbrochen. In ihrer Todesnacht habe sie über längere Zeit in Erbrochenem und eigenen Fäkalien gelegen. Auch die Mitarbeiter der JVA hielten eine Verlegung ins Krankenhaus für notwendig.“ Dies sei aber „durch die behandelnden Ärzte abgelehnt worden“, so Theilmann.
In einem direkten Gespräch mit der taz sagte der Beiratssprecher, all dies sei ihm nicht nur von Insassinnen, sondern auch von der Anstaltsleitung bestätigt worden. Er gehe daher nicht von irgendwelchen Gerüchten innerhalb der Anstalt aus. Darum will der Beirat diese Ergebnisse nun an die Staatsanwaltschaft weitergeben.
Der Verein „akzept“ berichtet zudem über Beschwerden von Inhaftierten, dass sie sich nicht ernst genommen und nicht immer angemessen medizinisch versorgt fühlten. Die nötige „Sorgfalt und Aufmerksamkeit scheint innerhalb des relativ geschlossenen Systems Justizvollzugsanstalt immer mal wieder zu fehlen und scheint in diesem Fall brisant, beziehungsweise tödlich geworden zu sein“, heißt es.
Die Bremer Justizbehörde relativierte gestern die Vorwürfe des Beirates. Nach Angaben von Justizsprecherin Lisa Lutzebäck habe und könne die Anstaltsleitung diese Vorwürfe nicht bestätigen. Die Frau habe kein Fieber gehabt. Sie sei auch nicht bewegungsunfähig gewesen, wie es der Beirat schildert. „Daher war die Frau auch in der Lage, die Toilette zu benutzen. Sie hat diesen Gang nur einmal nicht rechtzeitig geschafft“, so Lutzebäck. Es könne also nicht die Rede davon sein, dass die Frau in ihren Fäkalien gelegen habe. „Und es stimmt zwar, dass die Frau erbrochen hat. Sie hat aber nicht jede Nahrung von sich gegeben. Demnach wurde die Frau auch nicht als sterbenskrank eingeschätzt.“
Weiter berichtet Beiratssprecher Theilmann, dass die Frau nach Angaben der Staatsanwaltschaft ihm gegenüber an einer „weltrekordverdächtigen Überdosis Methadon“ gestorben sei. Demnach habe die Methadon-Konzentration im Blut 1.200 Nanogramm betragen. Üblich seien 150 Nanogramm. Als eine Möglichkeit dafür sieht Theilmann, dass die Frau eine zweite – vielleicht auch noch mehrere – Methadon-Rationen bekommen habe, weil die Ärzte in dem Glauben waren, sie habe die vorherigen erbrochen. Dadurch sei es dann zu einer tödlichen Dosis gekommen.
Seitens der Staatsanwaltschaft wurden diese Werte gestern als „falsch“ bezeichnet. Allerdings war die Frau nach Angaben von Justizsprecherin Lutzebäck tatsächlich im Methadonprogramm. Endgültige Ergebnisse der Obduktion erwartet die Staatsanwaltschaft noch diese Woche. Jens Tittmann
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