: Ein Birnbaum in seinem Garten stand
Ottenser Kleingärtner hegen ihr Parzellenglück schon wegen der Tradition ■ Von Peter Ahrens
Es ist fast wie im Gedicht vom Ribbeck im Havelland: Wenn Rainer Scholz in eine Birne beißt, muss er an seinen Opa denken. Der ist zwar schon mehr als 40 Jahre tot, doch den Birnbaum im Garten, den er damals pflanzte, den gibt es immer noch, und der wird auch in diesem Jahr voller Früchte hängen. „So ein guter Birnbaum braucht schon seine 30 bis 40 Jahre, um zu reifen“, sagt Scholz. Wenn es nach der Baubehörde geht, bleiben dem Baum allerdings nur noch wenige Jahre. Der Baum hat das Pech, in der Ottenser Kleingartenanlage am Othmarschener Kirchenweg zu stehen. Und die soll bekanntlich weg, weil die Gärtner auf den geplanten Deckel über der A 7 umziehen sollen. Auch wenn die Schreber gar nicht umziehen wollen.
1913 hat Scholz' Großvater die Parzelle in der Kleingartenanlage 202 erhalten. Er hat vor allem Gemüse angepflanzt, Obstbäume hochgezogen: Die Zeiten waren schlecht, gut war dran, wer einen Garten hatte und ein bisschen Gemüse anbauen konnte. 1950 wechselt das Grundstück vom Großvater auf den Vater. Es sind die Wirtschaftswunderjahre, über Tag wird geschuftet, und nach Feierabend setzt sich Scholz Vater vor sein Gartenhäuschen und erholt sich. 1979 übernimmt die dritte Generation: Scholz stellt auf Öko-Garten um. Der Kleingarten als ein Stück deutscher Gesellschaftsgeschichte.
„Ich bin hier groß geworden und mit mir viele in der Nachbarschaft – und das soll alles ohne Not kaputt gemacht werden, um woanders wieder etwas aufzubauen?“ Scholz hat als kleiner Junge in den 50ern im Garten gespielt, wie es nun seine beiden Kinder tun. Da, wo die Familie wohnt, in der Altonaer Eulenstraße, gibt es wenig Spielmöglichkeiten. Im Garten können sich die Kinder austoben. Die Baubehörde hat sich das so schön ausgedacht: Über die Autobahn kommt ein Deckel, damit es nicht mehr so laut für die Anwohner zugeht. Den Deckel bezahlt man, indem man Flächen in der Nähe bebaut und verkauft. Und die, die vorher diese Flächen genutzt haben, siedeln auf den Deckel um: die Ottenser Kleingärtner nämlich. Eine glatte Rechnung – nur dumm, dass sie ohne die Gärtner gemacht wurde. Die wehren sich, seit vor Monaten die Pläne bekannt wurden. „Uns kriegt man hier nicht weg“, sagt Rainer Scholz, und es klingt ein bisschen trotzig und ein bisschen entschlossen.
Kleingärtner, da wird im Kopf gleich eine Lawine von Klischees ins Rollen gebracht: knorrig, engstirnig, super-spießig, der Fleisch gewordene Gartenzwerg. Als Renate Köller ihren Mann Rainer Scholz kennenlernte und so zu der Kolonie stieß, hatte sie „auch am Anfang enorme Vorbehalte“. Die hat sie inzwischen auf den Komposthaufen geworfen. „Inzwischen sind viele junge Leute dabei, die auf Naturschutz und Ökologie setzen“, sagt sie.
Die anderen gibt es natürlich auch noch. Es sind auch die Alten, die in der Kolonie dominieren. Und gerade die Alten würden einen Umzug nicht mehr mitmachen, ist sich Scholz sicher. „Die Hälfte wird aufhören, wenn wir zum Umziehen gezwungen werden.“
Gegen den Deckel ist auch bei den Schrebern keiner, das werde in der Öffentlichkeit immer unterschlagen, Lärmschutz ist schließlich nichts Schlechtes. Aber es seien keine Alternativen zum Umzug geprüft worden, der Senat habe sich ein Denkverbot verordnet – wenn die Schreber anfangen, aufzuzählen, was bei dem Verfahren aus ihrer Sicht alles versäumt worden sei, bleiben sie eine Weile dran.
Unterschriftenlisten, Besuche bei Politikern, Info-Stände – das Protest-Programm für den Herbst steht. Dass er nur einer von wenigen in der Kolonie ist, die sich engagieren, weiss Scholz, aber es stört ihn nicht: „Der Kleingärtner an sich ist eben nicht der Kämpfer-Typ.“ Rainer Scholz und Petra Köller sind die Ausnahmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen