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Verkehrte Fronten

Die SPD in Berlin hält am Kurs des Kanzlers fest. Ihre Wahlversprechen heißen Personalabbau und hartes Sparen  ■   Von Ralph Bollmann

Berlin (taz) – Die Finanzsenatorin wartete vergebens. Eigentlich wollte Annette Fugmann-Heesing (SPD) mit ihrem Kollegen aus dem Bauressort über den Landeshaushalt für das Jahr 2000 reden. Die Hauptstadt muss, will sie sich nicht verfassungswidrig überschulden, mindestens 2,5 Milliarden Mark einsparen. Auf eine solch unangenehme Materie aber wollte sich der scheidende Bausenator Jürgen Klemann (CDU) nicht mehr einlassen. Zum vereinbarten Gesprächstermin meldete sich, mit zehn Minuten Verspätung, nur seine Sekretärin. Der Senator selbst weilte, zwei Tage vor Urlaubsantritt, im Geiste schon in Kanada.

Mit den übrigen Unionskollegen in der Berliner CDU-SPD-Koalition hat Fugmann-Heesing, einst hessische Finanzministerin unter dem Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD), genauso wenig Glück. Zwar erschienen die Ressortchefs, drei Herren und eine Dame, zum vereinbarten Smalltalk. Sparbeiträge hatten sie aber nicht anzubieten, im Gegenteil: Wenn die Senatorin ihre Etats nicht umgehend um zehn Prozent anhebe, drohten sie, dann gehe es mit der Metropole rapide bergab. Ohne zusätzliche Polizeibeamte, glaubt beispielsweise Innensenator Eckart Werthebach (CDU), lasse sich die öffentliche Sicherheit der Hauptstadt nicht mehr garantieren.

Die örtliche CDU hat sich entschieden: Für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 10. Oktober präsentiert sie sich als Partei des sozialen Gewissens. Während die Bundespartei noch sorgfältig abwägt, wie scharf sie gegen Rentenreform und Sparpaket opponieren kann, ohne selbst unglaubwürdig zu werden, greift Berlins CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky rhetorisch in die Vollen. Bevor die Berliner in die Ferien entschwanden, wetterte er vor der Presse noch einmal heftig über die „Registrierkassenmentalität“ der Finanzsenatorin. Der Stellenabbau beim privatisierten Stromversorger Bewag sei ein „Horror“, und mit der Streichung von 50.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst habe die rigide Haushaltspolitik bereits 150.000 Menschen, Familienangehörige eingeschlossen, um ihr tägliches Brot gebracht.

Dass die Berliner CDU all dies in den acht Jahren der Großen Koalition selbst beschlossen hat, gerät da fast in Vergessenheit. Mit feinem Gespür für die Stimmungslage im alten Westberlin setzt die Partei auf das Gefühl, dass das einstige Schaufenster des Westens nach zehn Jahren des Subventionsverzichts genug gelitten hat.

Die Sozialdemokraten dagegen sind eisern entschlossen, auf Wahlversprechen gänzlich zu verzichten. Schließlich hätten die Wähler, so wird in der Partei argumentiert, der Bundesregierung ihre Wahlgeschenke nicht gedankt – von der Lohnfortzahlung bis zum Kindergeld. Das einzige, was SPD-Spitzenkandidat Walter Momper in Aussicht stellt, sind „Klarheit und Wahrheit“. Der öffentliche Dienst müsse weiter schrumpfen, und der Landeshaushalt werde in der kommenden Legislaturperiode noch einmal um zehn Prozent sinken, predigt der Bauunternehmer.

Mit ihrer Nibelungentreue zum Sparkurs im Bund stehen die Berliner Sozialdemokraten unter den wahlkämpfenden Landesverbänden allein auf weiter Flur – auch wenn sich nicht alle SPD-Länderchefs so weit vorwagen wie der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt. Während Momper gemeinsam mit dem Bundeskanzler auf Wahlplakaten den Schulterschluss mit Gerhard Schröder und der Bundespartei demonstriert, lässt im Nachbarland SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe plakatieren: „Es geht um Brandenburg“. Und selbst Richard Dewes, sozialdemokratischer Spitzenkandidat in Thüringen, schwadronierte schon über höhere Renten für den Osten – trotz aller Treueschwüre gegenüber der Bundespartei.

Doch in Berlin blieb der SPD keine andere Wahl. Schließlich hat sie im Herbst die Bundespolitik vor der Tür, und obendrein exekutiert sie angesichts des klammen Landeshaushalts schon seit Jahren jenen Sparkurs, auf den die Bundespartei jetzt umgeschwenkt ist. Im Wahlkampf sind selbst die einstigen Widerstände in den eigenen Reihen geschwunden: Auf dem Wahlparteitag Anfang Juli votierten nur 17 von 320 Delegierten gegen das neue Programm. Dass die Partei ihr Wahlergebnis von zuletzt 23,6 Prozent deutlich überbietet, gilt gleichwohl als unwahrscheinlich – auch angesichts ihres glücklosen Spitzenkandidaten Momper.

Die Gewerkschaften jedenfalls haben die Zeichen der Zeit schon erkannt – und wechselten prompt die Seite. Mit dem CDU-Innensenator haben sie – unter heftigem Protest der Finanzsenatorin – einen Vertrag ausgehandelt, der einen weiteren Stellenabbau im öffentlichen Dienst ausschließen soll.

Die ÖTV-Landesvorsitzende Susanne Stumpenhusen sagt, das sei eben die Konsequenz daraus, „dass die CDU Positionen vertritt, die arbeitnehmerfreundlicher sind“.

Während die SPD in Berlin einen harten Sparkurs exekutiert, profiliert sich die CDU als Partei des sozialen Gewissens

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