piwik no script img

Mehmet und sein kleines Glück

■ Die Welt der 20 jugendlichen Flüchtlinge, die in einem Heim in Berlin-Lichterfelde leben, ist klein. Nur wenige haben draußen eine Chance. Ein 18-jähriger Kurde hat sogar einen Ausbildungsvertrag

Berlin (taz) – Der Gemeinschaftsraum ist ein Fernseher mit Sofa, das Sportangebot ist nur noch ein Kicker-Tisch, und die Küche ist seit kurzem geschlossen. Die kleine Welt der jugendlichen Flüchtlinge im DRK-Wohnheim in Berlin-Lichterfelde wird stetig kleiner. Eine zweite Jugendhilfeeinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes steht kurz vor der Schließung. „Dann wird's hier richtig voll, die kommen alle hierher“, sagt Mehmet, einer der in Lichterfelde lebenden 20 Flüchtlinge. Das Heim im feinen Berliner Südwesten, wo besorgte Nachbarn angesichts der 15- bis 19-jährigen Bewohner aus der Türkei, Angola und Sri Lanka um ihre eigenen Grundstückspreise bangen, ist Mehmets derzeitiges Zuhause.

Den Jugendlichen, die hier die Zeit verbringen, geht es noch relativ gut. Sie beziehen ein paar Mark Jugendhilfe, wohnen zumeist in eigenen Zimmern und haben ein, wenn auch sehr begrenztes, Freizeitangebot. Auf dem Bildschirm im Gemeinschaftsraum flimmern die Erdbebenbilder aus der Türkei. Vor 1994 war Mehmets Heimat die Kleinstadt Urfa im Südosten der Türkei, ein Brennpunkt im Kurdenkonflikt an der Grenze zum Irak. Fast ganz ohne Sprachkenntnisse kommt er nach Deutschland und damit in die typische Asyl-Zwickmühle, wie Jutta Neuendorf, Sozialarbeiterin im Lichterfelder Wohnheim berichtet: „Die Jugendlichen werden in einem unnatürlichen Schwebezustand gehalten.“ Wie in Mehmets Fall geht das über Jahre – bis ihre Klagen gegen die standardmäßige Ablehnung ihrer Asylanträge entschieden sind. „Und ihr behördlicher Vormund“, so Neuendorf, „hat schon vorher entschieden, ob sie bleiben dürfen oder nicht.“

Mehmet blieb, fünf Jahre ist er nun in Deutschland. Fünfmal wechselt der heute 18-jährige in dieser Zeit die Schule, ist fast immer in reinen Ausländer-Lerngruppen. „Es ist schwierig, Deutsch zu lernen, ohne Deutsche kennenzulernen“, findet er. Deutsch kann er inzwischen gut und wird mit Arbeitserlaubnis und einem Ausbildungsvertrag in der Tasche das DRK-Heim bald verlassen. Doch so viel Glück ist die Ausnahme.

Mehmets Freund Selami, 19 Jahre alt, ebenfalls aus Kurdistan, musste sein Zimmer in dem Heim ohne eine Perspektive räumen. Er lebt jetzt in einem Kreuzberger Flüchtlingsheim unter schwierigeren Bedingungen. „Wenn die Jugendhilfe endet, dann hängen die meisten in der Luft“, erzählt Sozialarbeiterin Jutta Neuendorf. „Die Situation für jugendliche Flüchtlinge ist in den letzten Jahren immer dramatischer geworden.“

Ihre Hoffnungen in die rot-grüne Regierung sind enttäuscht, an der schlechten Behandlung durch die Behörden habe sich wenig geändert, wie auch Selami weiß. Mit dem Wechsel des Sachbearbeiters fiel etwa die Zusage auf eine Verlängerung der Jugendhilfe unter den Tisch. Und schließlich, nach einigen Auseinandersetzungen mit dem Arbeits- und dem Sozialamt, auch Selamis Ausbildungsplatz. „Wir sind die Letzten, die eine Arbeit bekommen“, sagt er, „und die Deutschen denken immer, wir nehmen ihnen Arbeitsplätze weg.“

Die Einschüchterungen durch Behördenmitarbeiter oder Polizisten sind manchmal offen rassistisch. Mehmet und Selami haben begriffen, dass sie „Schwarzkopf“ sind und kein „Gelbkopf“. Den Vorwurf, dass ihre Schützlinge doch alle kriminell seien, hat sich Jutta Neuendorf von Beamten schon oft anhören müssen. Herablassende Behandlung auf der Ausländerbehörde, schikanöse Personenkontrollen mit Leibesvisitationen sind an der Tagesordnung. „Auf der Straße gefilzt zu werden, ist nichts Ungewöhnliches“, erzählen die beiden Kurden.

Willkür empfinden die Jugendlichen auch bei der Gesundheitsversorgung. Vieles ist dabei abhängig von den Zuständigkeiten der Jugendämter. Manche geben nur in akuten Fällen Krankenscheine aus. „Weiterführende Behandlungen zu bekommen ist äußerst schwierig“, so Neuendorf. Die Sozialarbeiterin stritt sich etwa ein Jahr lang um Selamis Zahnersatz – mit einem Gesundheitsamt, für das es „kein medizinisch relevantes Problem“ darstellte, nur einen Schneidezahn zu haben.

Die größten Probleme haben indes die Kleinsten. Zwei Mädchen, 17 und 18 Jahre alt, die ebenfalls in dem Lichterfelder DRK-Heim untergebracht sind, haben Monate nach der Geburt ihrer Kinder immer noch keine Geburtsurkunden von der Ausländerbehörde bekommen. „Denen wäre es doch am liebsten“, seufzt Neuendorf, „wenn diese Flüchtlingskinder offiziell gar nicht existierten.“ Christoph Rasch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen