„Wir haben gegen Schröder nicht zufällig verloren“

■ Jürgen Rüttgers, Chef der nordrhein-westfälischen CDU, fordert eine inhaltliche Erneuerung seiner Partei: Allein Protest gegen Rot-Grün reicht nicht. Noch in diesem Jahr sollten die Christdemokraten eine neue Familienpolitik formulieren

taz: Überall, wo CDU-Leute hinkommen, geißeln sie die unsoziale SPD-Politik. Sind Sie die besseren Sozialdemokraten?

Jürgen Rüttgers: Dass die SPD ehrliche Bürger abkassiert, ist wirklich etwas Neues. Was uns betrifft: Wir haben die Bundestagswahl ja nicht durch Zufall verloren. Die Leute wollten eine andere Regierung, weil wir uns zu weit vom Leben der Menschen entfernt hatten. Was wir jetzt machen müssen, ist: Ran an die Wirklichkeit und ganz nah bei den Menschen sein. Auch die SPD ist erst wieder mehrheitsfähig geworden, als sie unhaltbare Positionen etwa in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder der Wirtschaftspolitik geändert hat. Genauso müssen wir jetzt unsere Defizite in der Sozialpolitik beseitigen.

Mit der Rentenkampagne spielen Sie den Rächer der Schwachen. Wenn irgendwo gespart werden soll wie beim Zivildienst, schreien Sie auf. Dabei hätte vor einem Jahr die Union gesagt: Wir können nicht so viel Geld ausgeben. Ist da Ihre neue Haltung überhaupt glaubwürdig?

Es geht nicht darum, ob gespart wird, sondern wo und wie. Was passiert denn? Da wird eine Unternehmenssteuerreform gemacht, nach der jemand, der 1 Million vor Steuern verdient, um 90.000 Mark entlastet wird. Der kleine Bäckermeister muss 10.000 Mark mehr bezahlen. Das ist doch unfair. Bei der Rente haben wir auch einen Betrug. Die Leute sind sauer, weil der Kanzler noch im Februar versprochen hat, es bleibe bei der nettolohnbezogenen Rente, und nun das Gegenteil tut.

Der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt schimpft, im Schröder/Blair-Zukunftspapier fehle die soziale Gerechtigkeit. Sie haben sich ähnlich abgegrenzt: Die Politik müsse sich an Grundwerten wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität orientieren. Machen Sie jetzt auch noch den Lafontaine?

Der Klimmt wäre ja glaubwürdig, wenn er das nicht drei Wochen vor seiner Landtagswahl im Saarland gesagt hätte.

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist erst nächstes Jahr. Da sind Sie doch ein viel glaubwürdigerer Lafontaine.

Ich habe da Gott sei dank keine Probleme, weil ich das schon vor der Bundestagswahl gesagt habe und sich das auch nachweisen lässt. Mein Punkt ist: Das Schröder/Blair-Papier ist der Versuch, Kritierien, wie sie in Unternehmen gelten, auf die Politik zu übertragen. Zu glauben, man könne Menschen mit Wachstumsraten und Patentstatistiken erfassen – das ist Unsinn. Wir haben Veränderungen weg von der Industrie- hin zur Wissensgesellschaft und müssen deshalb die Strukturen verändern. Das geht aber nicht, indem man eine Denke vom Anfang der 90er Jahre zum Zukunftsmodell erklärt – nämlich eine Standortdebatte pur.

Das klingt ja, als fühlten Sie sich zumindest Oskar Lafontaine näher als Gerhard Schröder.

Nein. Der Schröder ist jetzt mit seinem Papier in den 90er Jahren angekommen. Der Lafontaine ist noch irgendwo in den 50ern.

Die böse Standortdebatte pur. So will auch Gregor Gysi die SPD-Wähler anlocken. Konkurriert die CDU schon mit der PDS um SPD-Wähler?

Wenn Schröder Anfang der 90er Jahre lebt und Lafontaine in den 50er Jahren, dann ist der Gysi im letzten Jahrhundert.

Und Sie sagen jetzt gleich, Sie stehen in der Mitte.

Nein, im Jahr 2000. Dort müssen wir neue Antworten finden auf die Revolution durch neue Kommunikationsformen oder auf den Strukturwandel im Arbeitsleben.

Ein Hauptverbündeter des Kanzlers ist der NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement. Den wollen Sie bald ablösen. Ist das ein Grund mehr, sich mit sozialem Profil abzusetzen?

Der Clement glaubt auch, er könnte das Land wie eine Aktiengesellschaft führen. Er gibt die Befehle, die Leute sollen machen. Bisher hat er so kein einziges Projekt hinbekommen – von der Verwaltungsreform bis zu den Lehrstellen. Außerdem ist er damit geschlagen, dass er mit Schröder in einen Topf geworfen wird. Da wird er halt Pech haben und mit Schröder untergehen.

Und wie sieht Ihr Profil gegenüber Clement aus?

Wir machen gerade einen Kommunalwahlkampf, der sieht so aus: Clement – der Macher, Rüttgers – der Mensch.

Wird die CDU ihr sozialpolitisches Profil auch in einem Programm festschreiben?

Wir müssen noch dieses Jahr eine neue Familienpolitik formulieren. Auch in der Wirtschafts- und der Gesellschaftspolitik müssen wir unbedingt vorankommen. Ich dränge drauf, weil ich im Mai Landtagswahlen habe und da mit einer neuen CDU antreten will.

In Ihrer Selbstvorstellung „Wir im Westen“ betonen Sie, daß Sie Sohn eines Elektrikers sind und aus dem Braunkohlerevier stammen. Wollen Sie sich beim kleinen Mann einkratzen?

Ich weiß, wo ich herkomme, und da steh ich auch zu.

Interview: Georg Löwisch