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Jahrmarkt ohne Sensationen

Stets traf auf der Berliner Funkausstellung das Fernsehen auf die Wirklichkeit. Heute geht die Schau aufs Neue los, doch das Medium braucht sie nicht mehr    ■ Von Lutz Meier

Als Schauplatz ist die internationale Funkausstellung so tot wie das Mediensystem, das sie einst groß gemacht hat

Das waren Zeiten, als das Fernsehen sich noch hinunter in die Wirklichkeit begeben musste. Oder wie es Hörzu im September 1973 schrieb, nachdem bei der Internationalen Funkausstellung (IFA) ARD und ZDF zum zweiten Mal Stars und Livesendungen aufs Berliner Messegelände gebracht hatten: „Die Telegötter stiegen vom Bildschirm herab“.

All die kommenden Jahre blieb die IFA das Ereignis, zu dem der Bildschirmolymp seine Sendboten wahrhaftig zu den Massen sandte. Dieter Thomas Heck und Hans Rosenthal, Joachim Fuchsberger und Peter Frankenfeld: Sie alle waren da, dem Publikum vorzuführen, dass die Welt des Mediums eine sei, die die wirkliche nur abbilde und die nur wirklich würde, wenn sie sich in der wirklichen Welt imitierte. Die Bildschirmwelt offenbarte sich hier also als eine Welt, die nah ist, obgleich die ganze Chose doch „Fernsehen“ heißt.

1969, als sich mancherlei neue Welten auftaten, hatte Bundeskanzler Willy Brandt hier auf der Messe am Funkturm per Knopfdruck das Farbfernsehen angeknipst. Konsequenterweise hatte die Geräteindustrie schon bei der nächsten IFA erkannt, dass man die neue bunte Welt greifbar machen musste, wenn sie wirklich werden sollte. 1971, bei der ersten Funkausstellung, die sich „international“ nannte, begann der Zirkus mit dem „Komödienstadl“ der ARD und der „ZDF-Hitparade“ des damals 33-jährigen Dieter Thomas Heck, mit Max Greger, dem „Aktuellen Sportstudio“ und einer großen ARD-Fernsehgala. Die Götter mussten etwas bieten, damit sich die irdischen Hoffnungen erfüllen konnten, die die Veranstalter von der „Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik mbH“ antrieben.

Der Gedanke war nicht neu, dass sich die durch die Luft gefunkten Inhalte auf einem Jahrmarkt materialisieren müssten, damit die Funk-Apparaturen ihre Käufer finden könne: Ein Jahr bevor der erste Ur-Fernseher den Messebesuchern präsentiert wurde, 1926 bei der 3. Großen Deutschen Funkausstellung, hatte der „Verband der Funkindustrie“ Live-Rundfunksendungen vom Messegelände organisiert.

Die Zeiten, wo derlei nötig wäre, sind vorbei. Und aus heutiger Sicht sehen die ganzen letzten IFA-Jahre mit Fuchsberger und Rosenthal, der „Goldenen Eins“, der ZDF-„Drehscheibe“ und zuletzt sogar der „Harald-Schmidt-Show“, mit Galas, Empfängen und Intendantenfragestunden merkwürdig aus: wie Kinkerlitzchen eines Mediums, das lange brauchte, zu sich selbst zu finden.

Zwar gibt es auch dieses Jahr noch eine tägliche Nachmittagsshow der ARD, gibt es eine Gala des ZDF. Zwar gibt es auch am Ende des Jahrhunderts noch die Pressetermine mit den Programmdirektoren von ARD und ZDF, wo sie ihre Programmpläne mitunter immer noch vortragen, als wäre es ein Regierungsprogramm.

Da gibt es die alte IFA noch. Noch. Denn die Internationale Funkausstellung als medialer Schauplatz ist so tot wie der Rund- und Fernsehfunk, der sie groß gemacht hat, in den Zeiten, als es Reichspost, Reichsrundfunk, später der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und dann die öffentlich-rechtlichen Intendanten waren, die dem Volk ein Programm gaben, damit es sich in Zerstreuung zusammenfinde.

Auch wenn es jetzt, abgesehen vielleicht von der Fußball-WM, keine Fernsehereignisse mehr gibt, welche die Gesellschaft versammeln – keine Straßenfeger mehr, keinen großen Samstagabend: Einiges existiert natürlich noch. Rundfunk-Symphonieorchester und „Wetten dass“, der „Presseclub“ und bayerische Fernsehdirektoren, die sich ihre Kommentare von der CSU diktieren lassen. Doch Dominanz hat das alles kaum mehr. Das war das Fernsehen der IFA, nicht das neue, das nur noch ein Spielort der international boomenden Entertainmentindustrie ist.

Die ersten, die das gemerkt haben, waren die Privatsender. Sie sind bei der IFA nicht mehr dabei, dieses Jahr zum ersten Mal. Sie teilten der verblüfften Messeleitung mit: Für ihr eigentliches Geschäft, das Verkaufen von Werbezeiten, könnten sie bei Veranstaltungen wie der Düsseldorfer Telemesse viel besser werben – dort trifft sich nur die Branche.

Und dem Publikum braucht das Fernsehen von heute längst nicht mehr alle zwei Jahre die Ankopplung an die Wirklichkeit vorzugaukeln, damit es in Berlin nachgucken kann, ob es die ganzen Stars und Studiodekos auch wirklich gibt, und die Zuschauer der Livesendungen sich im IFA-Volk wiederfinden können. Denn das Medium beschränkt sich nicht mehr auf die Behauptung, Wirklichkeit zu reproduzieren, es produziert selbst Wirklichkeit. Es ist nichts Unnormales, sich den Fortgang einer TV-Serie mit der gleichen Gegenwärtigkeit zu erzählen wie die Entwicklung familiärer Kalamitäten daheim.

Noch ein anderer Zweck der IFA hat sich erledigt, seit sich mit der Bundesregierung tatsächlich personifizierzte Macht in der Stadt konzentriert. Die Schau war auch immer eine Art gebührenfinanziertes Westberlin-Subventionsprogramm, dem isolierten Inselvolk und der dortigen Halbprominenz eben solche Halbprominenz aus der großen weiten westdeutschen Welt zuzuführen. Diese bedurfte hier ebenso der Vergegenwärtigung wie die ferne Fernsehwelt.

Der Hauptgrund für das Verschwinden der IFA als Institution ist aber ein technischer: Das Medium hat sich von den Apparaten emanzipiert, die hier ja eigentlich verkauft werden sollen. Denn mit der Digitalisierung sind Apparat und Inhalt nicht mehr aneinander gebunden, wie es etwa 1924 noch war, als der Detektor-Rundfunkempfänger der große Messehit war. Den Mikrochips von heute ist es einerlei, ob sie eine Audiodatei oder ein Buchhaltungsprogramm verarbeiten, den modernen Übertragungsnetzen ist es gleich, ob ein Telefongespräch durch sie schwirrt oder die Lottoshow. Klassische Rundfunkfirmen wie Grundig oder Loewe sehen sich plötzlich von der Konkurrenz aus der Computerindustrie bedroht. Und die IFA preist dieses Jahr Spielkonsolen an und Decoder, die das Internet ins Fernsehen bringen.

Was den Olymp der Telegötter betrifft: Der braucht keine speziellen Apparate mehr und auch keinen IFA-Jahrmarkt, um seine Botschaft in die Wirklichkeit zu vermitteln. Er hat sich unserer bemächtigt. Und den IFA-Zirkus braucht es gerade noch so lange, wie nicht alle die Welt der Telegötter verinnerlicht haben.

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