: Blick zurück nicht ohne Missvergnügen
■ Im Willy-Brandt-Haus beging die Historische Kommission der SPD den 10. Jahrestag des Treffens von Schwante, wo die Sozialdemokratie in der DDR neu begründet wurde
Berlin (taz) – Die erste Konferenz der Sozialdemokraten nach dem Umzug der Bundesregierung im Willy-Brandt-Haus, und das noch unter Beteiligung des Genossen Bundeskanzler! Die Historische Kommission der SPD hatte am Donnerstag zum 10. Jahrestag des Treffens in Schwante geladen, wo im Krisensommer 1989 eine Handvoll demokratischer Oppositioneller einfach die Sozialdemokratie in der DDR neu begründeten – unter dem Namen SDP.
Ein Familientreffen wurde es dennoch nicht, dafür sorgte die vertrackte politische Situation. Schwante steht für die Kriegserklärung an die SED. Den Realsozialisten wurde durch den Gründungsakt jedes Vertretungsmonopol für die „werktätigen Massen“ in der DDR abgesprochen. Heute praktizieren hingegen führende Sozialdemokraten des Ostens wie Ringstorff und Höppner Koalitionen und Tolerierungspakte mit der Nachfolgepartei der SED.
Schwante sandte damals ein Signal Richtung Bonner SPD-Baracke: Wir sind die legitimen Sozialdemokraten. Heute wird die Sozialdemokratisierung der PDS im SPD-Milieu als unumkehrbare historische Tendenz angesehen. Hat sich die PDS so grundlegend gewandelt oder die SPD: Über diese Frage wurde im Willy-Brandt-Haus der Mantel schweigenden Missvergnügens ausgebreitet.
Dennoch erwies sich die Konferenz als überaus aufschlussreich, was die Motive der Akteure des Jahres 1989 anlangt. Im Schwerpunktreferat des Historikers Konrad Jaraus wurde der tiefe Einschnitt verdeutlicht, den Schwante gegenüber der Bürgerbewegung in der DDR brachte. Bis zur Gründung des SDP war es unter den Bürgerbewegten Konsens gewesen, auf eine Art historischen Kompromiß mit der SED hinzusteuern, im Visier war die schrittweise Errichtung einer partizipatorischen Demoratie. Schwante hingegen brachte die Orientierung auf die parlamentarische Demokratie, mithin eine klare Absage an jeden „dritten Weg“. Die Früchte wurden allerdings nicht von der SDP/SPD geerntet, sondern von der CDU, die ohne alle Rücksichtnahmen den Einheitszug anschob – und damit dem Wunsch der überwiegenden DDR-Bevölkerung entsprach.
Wolfgang Thierse als „reflektierender Zeitzeuge“ lenkte die Aufmerksamkeit noch einmal auf die Schwierigkeiten, die auch die SDP-Gründer mit der deutschen Einheit hatten. Er benannte zwei Gründe: den protestantischen der Buße für die Verbrechen des NS-Regimes und die Angst davor, dass ein vereintes Deutschland zurückkehren werde auf den Pfad des Nationalismus. Auch nach dem Schwenk Richtung Einheit hatten die ostdeutschen Sozialdemokraten das Gefühl, es müsse doch etwas bleiben von 40 Jahren Existenz unterm Realsozialismus. Die SDP/SPD wollte mit den Wessis gründlich verhandeln, nicht über den Tisch gezogen werden. Noch im Mai 1990 setzte sie drei bis vier Jahre Übergangszeit an. Sie warnte vor den Scheinverhandlungen Schäuble/Krause. Aber alle Einwände gegen die Treuhand, gegen die Regelung „Rückgabe vor Entschädigung“ wurden vom Mehrheitswillen weggespült.
Thierse deutete auch den Stimmenwirrwar an, der seitens der West-SPD nach der Gründung der SDP zu vernehmen war. Er interpretierte die inneren Auseinandersetzungen um die Anerkennung der SDP und um die deutsche Einheit als Generationenkonflikt. Die „Alten“ wie Brandt und Vogel dachten noch in Kategorien der Wiedervereinigung, den „Jüngeren“ wie Lafontaine habe dafür das Sensorium gefehlt.
In dieser Hinsicht wurde Erhardt Eppler, einst Programmatiker der SPD und Verfasser des berühmt-berüchtigten gemeinsamen SED/SPD-Papiers „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“, deutlicher. 1988 sei ihm klar geworden, dass die SED sich konsequent selbst zugrunde richte, und er habe – zum ziemlichen Erstaunen führender SPDler – gefordert, über eine Option für den Fall zu debattieren, dass sich die SED „als nicht lebensfähig erweise“. Nach dem Fall der Mauer habe er Lafontaine eindringlich darauf hingewiesen, dass er sich dem ganzen deutschen Volk in Ost und West zuwenden müsse, wenn er von den Ostdeutschen angenommen werden wolle. Vergeblich.
Gegenüber dieser etwas billigen Schuldzuweisung hielt Norbert Gansel, einer der wenigen, die die demokratische Opposition vor 1989 unterstützten, daran fest, dass die SPD in den 80ern nichts anderes verfolgt habe als eine Stabilisierungspolitik gegenüber den realsozialistischen Machteliten. Deshalb auch sei die Führung der SPD von der Volksbewegung in der DDR überrollt worden. Die Anerkennung der SDP durch die SPD-Führung war, wie der damalige SDP-Emissär Steffen Reiche mitzuteilen wusste, nicht das Resultat einer bisherigen konsequenten Politik, sondern eher des Bruchs mit derselben. Was damals wirklich geschah, harrt immer noch der Aufklärung. Aber was soll's, weder SPD noch SDP wurden schließlich zum geschichtlichen Motor des Vereinigungsprozesses. Christian Semler
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