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Männlichkeitsprüfungen

Tom Wolfe hat eine ganze Generation davon träumen lassen, Journalist zu werden. Denn Journalisten waren ganz eindeutig die besseren Schriftsteller. Jetzt ist sein neuer Roman erschienen: Ein ganzer Kerl  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Tom Wolfe (68) ist sehr berühmt. Er gehört zu den „Rekordverdienern seiner Zunft“ (Spiegel). Für seinen männertriefenden neuen Atlanta-Roman „Ein ganzer Kerl“, an dem er zwölf Jahre schrieb und der in den USA bislang 1,5 Millionen Mal verkauft wurde, bekam der 68-Jährige einen Vorschuss von ungefähr sechs Millionen Dollar. „Ein paar Millionen – das ist zum Gähnen“, sagte Wolfe im Spiegel in anderem Zusammenhang. Seine Antwort auf die Frage, warum er wohl schreibe, ist seit Jahren die gleiche und orientiert sich am presbyterianischen Katechismus: „Und warum hat Gott die Welt erschaffen? – Für seine eigene Herrlichkeit.“ Zum weißen, zuweilen auch ins Cremige tendierenden Anzug trägt Tom Wolfe gern auch einen kleinen Hund.

Früher gehörte Wolfe zur klassischen Hippiebüchergrundausstattung: Reportagesammlungen mit bunten Popcovern wie „Das silikongespritzte Mädchen“ (The Pump House Gang) oder „Das bonbonfarbene tangerinrotgespritzte Stromlinienbaby“, vor allem aber „The Electric Kool-Aid Acid Test“ standen irgendwo zwischen Hermann Hesses „Morgenlandfahrt“, Ed Sanders „The Family“, Hunter S. Thompsons „Angst und Schrecken in Las Vegas“, Jack Rubins „Do It!“ und den Romanen von Jack Kerouac.

„The Electric Kool-Aid Acid Test“, Wolfes Reportageroman aus dem Herzen der psychedelischen Bewegung der 60er, wie man so sagte, war eine Art Hippie-Bibel. Mit vielen begeisterten ooooooooooos (deren Wiederverwendung der Schriftststeller Martin Amis in seiner Kritik des neuen Wolfe-Romans moniert) beschrieb Wolfe die Fahrt von Ken Kesey und seinen „Merry Pranksters“ durch das Amerika von 1964, auf der die Businsassen nicht nur ständig in „Kool-Aid“-Orangensaft aufgelöstes LSD zu sich nahmen, was erst 1967 verboten werden sollte, sondern auch diverse Happenings mit reger Publikumsbeteiligung veranstalteten und ihre gesamten Aktivitäten – als Vorboten von Andy Warhols Factory – auf Film dokumentierten.

Das Buch begründete den Ruhm von Tom Wolfe in den 60er Jahren und ließ viele Leute davon träumen, Journalist zu werden. Neben Norman Mailer, Truman Capote und Dr. Hunter S. Thompson war Wolfe der bekannteste Vertreter des „New Journalism“, eines Reportagejournalismus, der in Alltagssprache die Unmittelbarkeit teilnehmenden Miterlebens beschwor und sich um eine Synthese aus Literatur und Journalismus bemühte. Im Gegensatz zu Hunter S. Thompson, dessen Buch über die Hells Angels ebenfalls Anfang der 60er Jahre entstand, wahrte Wolfe bei seiner Arbeit allerdings eine gewisse Distanz und vermied es, in der ersten Person zu sprechen.

Acid habe er nie genommen, erklärte er kürzlich in einem SZ-Interview. Was selbstverständlich verwerflich ist und möglicherweise sowieso aus nahe liegenden Gründen gelogen. Hunter S. Thompson steht für einen Journalismus der Verausgabung und tendiert zum Ausgeflippten. Deshalb liebt und verehrt man den Waffennarren, der zuweilen schüchternen Journalistinnen LSD in den Drink zu mixen pflegt, weil er das lustig findet. Tom Wolfe achtet man eher. Viele Linke, wie Michael Sontheimer, der Chef des Berliner Spiegel-Büros, verachten ihn auch und sagen, er hätte den New Journalism, der sich ursprünglich vor allem um die Underdogs und Randgruppen der Gesellschaft gekümmert hatte, verraten und interessiere sich nur noch für die Elite.

Ansonsten schrieb Wolfe diverse Reportagen in den Beilagen großer angloamerikanischer Zeitungen und Zeitschriften über surfende Jugendgangs, eine Tänzerin aus der ersten Generation silikonaufgeblähter Frauen, ein Porträt von Hugh Hefner als modernem Einsiedler, „radial chic“, eine ziemlich bissige Reportage über eine Black-Panther-Fund-Raising-Party in der Wohnung von Leonard Bernstein und zwei „Reportageromane“ über die Eroberung Amerikas durch das Bauhaus („Mit dem Bauhaus leben“) und über die ersten sieben amerikanischen Astronauten, die ins All flogen, um die narzisstische Kränkung vergessen zu machen, die der Nation durch die Sowjets zugefügt worden war.

Immer ging es Wolfe darum, den Zeitgeist irgendwie zu fassen, Distinktionsmechanismen zu beschreiben. Im Einzelnen war das meist so unterhaltend wie gut beobachtet, wenn er allerdings zu verallgemeinern begann, wurde es oft ein bisschen peinlich. Sein Menschenbild war und blieb ziemlich simpel: Alle wollen nur immer mehr Status, Sex, Geld, Macht. Die Linken kaschieren ihre Machtbedürfnisse nur durch kostengünstiges philanthropisches Gefasel wie die Christen bei Nietzsche.

1987 erschien „Fegefeuer der Eitelkeiten“. Der fast tausendseitige Romanerstling über den Niedergang eines New Yorker Finanzbrokers wurde ein Riesenerfolg und von Brian de Palma auch ganz annehmbar verfilmt.

Wolfe, der sich ständig auf die Tradition der großen naturalistischen Romanciers des 19. Jahrhunderts – Dickens, Zola, Maupassant – beruft und die ästhetische Moderne verachtet, pflegt unverdrossen sein Image als exzentrischer, konservativer, patriotischer Dandy. In Interviews (mit der BBC zum Beispiel) wirkt der amerikanische Großschriftsteller allerdings äußerst smart und kommt recht angenehm im Fernsehen rüber, auch wenn er die Anteil nehmende Begeisterung für Pop, Stil, Gruppendifferenzierung und ihre ästhetischen Verarbeitungsmethoden von Welt mittlerweile verloren hat. (Proust ist sowieso besser.)

In seinem neuen Roman „Ein ganzer Kerl“ kommen renitente Stile zwar noch vor, schließlich ist es ja das erklärte Ziel des Autors, einen auch in den Schattierungen stimmigen amerikanischen Großstadtroman zu schaffen. Die schwarzen Jugendlichen, die auf einem „Freaknic“ genannten Happening rappend und mit Hosen mit Schritt in den Kniekehlen das weiße Establishment provozieren wollen, oder die ausführlicher geschilderten weißen Heavy-Metal-Männer, die in einem Kühlhaus arbeiten, wirken allerdings eher wie andrerseits auch wieder hübsch gezeichnete Illustrationen. Der schwarze Footballstar, dem vorgeworfen wird, die Tochter des einflussreichsten Finanzmoguls in Atlanta vergewaltigt zu haben – ob oder auch nicht und die gesellschaftlichen Auswirkungen davon halten den Roman in Gang –, erinnert an Tyson und schweigt meistenteils.

Charlie Croker, ein alternder Immobilienhändler in großen Finanzschwierigkeiten und Ex-Footballstar, ist der erste Held des Romans. Croker ist ein Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, ein paternalistischer Vertreter freigiebiger männlicher Werte, der eine riesige Plantage allein für die Wachteljagd hält und riesige Giftschlangen mit bloßer Hand fängt, ein ganzer Kerl, der sich nach 30 Ehejahren von seiner Frau getrennt hat, um seine Potenz an einer jüngeren zu erproben. Er wird bedrängt von den nach den Jahren ausschweifender Kreditgeschäfte utilitaristisch, zuweilen auch sadistisch gesinnten Vertretern der Bank, der er ein paar hundert Millionen Dollar schuldet.

Der andere Held männlicher Tugenden ist der junge Conrad Hensley, ein Sohn typisiert verkommener Hippies. Der fleißige Kühlhausarbeiter mit Heavy-Metal-Freunden wird unverschuldeterweise arbeitslos, kommt nach einer üblen Pechsträhne in den Knast, empört sich gegen die Knasthierarchie, entkommt nach einem Erdbeben, um nach einer Reihe bestandener Männlichkeitsprüfungen und ausgedachter Zufälle den mehr oder weniger erledigten Croker zu treffen, der vor der Entscheidung steht, sich selbst zu verraten oder seinen Reichtum zu verlieren. Gereift durch die Lektüre eines Buchs mit den Texten stoizistischer Philosophen, bekehrt ihn Conrad zum Stoizismus. Croker verliert die Welt, gewinnt das Himmelreich und reitet als komischer Prediger am Ende in die Abenddämmerung sozusagen.

Man liest das in ein paar Tagen mit großer Begeisterung und hat danach das Gefühl einer gewissen Übersättigung, die einen zuweilen auch nach der Lektüre anderer amerikanischer Erfolgsautoren (T. C. Boyle zum Beispiel) anweht. Der ganze Roman ist extrem kalkuliert, das Personal quotiert: ein weißer Arbeiterheld, Roger White, ein sympathischer schwarzer Anwalt als Aufsteigerheld, ein ausgebuffter, schwarzer Bürgermeister als tougher Held der Realpolitik, der ängstlich unmännliche mittlere Bankangestellte und – als Angebot für lesende Frauen – die verlassene Frau Anfang Fünfzig als Nebenheldin, die im Sportstudio immer traurig denkt, dass die heutigen Frauen doch alle aussehen wie Jungs mit Brüsten.

Auch wenn einige Kapitel großartig sind – die Schilderungen kolossaler Verschwendung, wenn Croker etwa mit wichtigen Gästen im schönsten Raum seines Herrenhauses dinniert und die Klimaanlage fast zusammenbricht, weil der Kamin brennen muss, vor allem das Krisentreffen, auf das der Held, der sich für unangreifbar hält, von seiner Bank geladen wird, um ihn mit ausgesuchtesten Sadismen kleinzukriegen –, hat man im Nachhinein das Gefühl, jedes Kapitel behandle den Stoff einer gemeinschaftskundlichen Doppelstunde. Die Leute reagieren wie geschmiert auf jeden Schlüsselreiz; alles, was sie tun, ist berechen- und vorhersehbar, mögen die Berechnungen auch kompliziert sein.

Alles ist ein bisschen angeberisch auch; Angabe über die fleißige Recherche, die es natürlich braucht, Politik und Gesellschaft einer schwarzen Großstadt mit weißer Oberschicht wie Atlanta zu schildern oder über einen Kühlhausarbeiter zu schreiben. Der Roman ist sehr bildlich, ein wenig flächig und lässt sich sicher gut verfilmen mit Leonardo DiCaprio als jungem Helden.

Tom Wolfe: „Ein ganzer Kerl“. Aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz, Kindler Verlag München; 928 S., 54 DM

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