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Die Polen pflücken in der Nacht

Nicht mehr nur Afrikaner und Asiaten arbeiten auf Italiens Gemüseplantagen. Auch Ost- und Mitteleuropäer dringen in die Niedriglohnbereiche vor  ■   Aus Apulien Werner Raith

„Im Gegensatz zu den langsamen Afrikanern und Asiaten werden die Osteuropäer in der Hitze sehr schnell krank.“

„Ihnen wird vorgeworfen“, sagt der Amtsrichter und blättert in seiner Handakte, „Arbeitskräfte auf Ihren Feldern als Erntehelfer beschäftigt zu haben“, er fährt die Seite mit dem Finger entlang, „in mehr als 25 Fällen; ohne diese Personen ordnungsgemäß angemeldet und ohne Steuern und Abgaben für diese entrichtet zu haben.“ Über den Brillenrand guckt er den Angeklagten an, einen breitschultigen Mann um die Sechzig. Dieser sitzt nicht sonderlich bedrückt auf dem Stuhl vor der Richterbank und breitet die Arme aus. „Üble Nachreden, Euer Ehren“, sagt er in dem leicht singenden Tonfall der Apulier. „Nachgewiesen ist nichts.“ Sein Verteidiger mischt sich ein. „Es hat zwar Anzeigen gegeben, Herr Vorsitzender“, sagt er, „aber wo sind die Zeugen?“

Der Amtsrichter hebt müde seinen Blick: „Ja, wo sind sie? Es ist wie immer: Am Ende präsentiert sich keiner. Aber diesmal könnte es anders gehen. Einer der Zeugen hat Sie nicht anonym angeschwärzt, sondern mit seinem Namen unterschrieben.“ Er beugt sich vor und liest ab: „Van der Meulen. Van der Meulen, Abram.“ Doch der Anwalt ist nicht beeindruckt. „Ja. Ein Holländer. Aber wo ist er, dieser Mann?“ Der Amtsrichter schaut über den Angeklagten hinweg nach hinten in den Saal, dorthin, wo sich wie in jeder Gerichtsverhandlung seines „Tribunale“ die Zuschauer drängen. „Wo mag er sein?“ Sein Blick bleibt einen Augenblick an einer Person in der Menge hängen, der Richter lächelt, dann schaut er wieder in seine Akten. „Ich rufe den Mann also noch einmal auf. Nicht da? Dann werden wir den Fall wohl einstellen müssen.“

Als der Angeklagte hocherhobenen Hauptes und von einigen Männern und Frauen mit untertänigem Handschlag verabschiedet den Saal verlässt, drängt sich ein Mann hinter ihn, der anders aussieht als die Feldarbeiter Apuliens. Der Angeklagte, Herr über mehr als 40 Hektar Ackerland und 400 Wasserbüffelkühe sowie eine ansehnliche Anzahl Schweineställe, dreht sich kurz zu dem Mann um und gibt ihm ein Zeichen der Marke „Jetzt nicht“. Der Blassgesichtige nickt, lässt sich abdrängen. Er weiß, wo er den Padrone findet – und was ihm dieser schuldet.

Auf Unteritaliens Tomaten- und Paprikafeldern gibt es mittlerweile zu Hunderten zählende Erntepflücker der besonderen Art: Bildeten bislang Afrikaner und Asiaten ein Heer billiger Arbeitskräfte und wurden mit ein paar tausend Lire pro Tag und einer mickrigen Unterkunft abgespeist, so werden seit einiger Zeit immer mehr Pflücker aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks eingestellt.

„In ihrem Arbeitseifer sind die Leute, die aus Polen oder aus Weißrussland kommen, den Afrikanern überlegen“, sagt Abram van der Meulen, „Bram“ genannt, das Blassgesicht aus dem Gerichtssaal. „Die gehen richtig akkordmäßig ran, marschieren nicht so in gemächlichem Tempo wie Nigerianer oder Somalier.“

Die Padroni waren anfangs denn auch überaus zufrieden. Zwar mussten sie am Ende des Arbeitstages mehr bezahlen, denn das Salär richtet sich nach der Anzahl gefüllter Kisten. Aber dafür reduzierte sich dann die Anzahl der Erntetage und damit die Kosten für die An- und Abfahrt der Arbeiter, und wo auch noch Traktoren oder Ausreissmaschinen eingesetzt werden, kommt da eine ansehnliche Einsparung zustande. Nur: „Im Gegensatz zu den langsamen Afrikanern und Asiaten werden die Osteuropäer in der ihnen ungewohnten Hitze sehr schnell krank.“ Sie bekommen Durchfall, Kopfweh, Schwindelanfälle und Sonnenstiche. Da sich die Saisonarbeiter aber die wenigen Tage der Ernte nicht entgehen lassen wollen, arbeiten sie weiter, bis sie bewusstlos zusammenbrechen. „Und dann beginnt für den Padrone das wirkliche Problem“, mischt sich ein älterer Apulier ein, der Brams Worte mitgehört hat: Die Männer – und auch die zunehmend eingesetzten Frauen – müssen behandelt werden. „Manche werden auch nach zehn kalten Wassergüssen noch nicht wieder wach“, sagt der Mann. Im Krankenhaus muss man dann eine wilde Story von einer Vergnügungsfahrt mit dem Boot erzählen, bei der die Armen zu viel Sonne erwischt haben. „Aber erfahrene Ärzte schauen sich nur die Hände an – sind sie zerfurcht, wissen sie Bescheid.“

Der Vorarbeiter zieht dann in der Regel eiligst einige Geldscheine heraus, damit der Medicus die Erkenntnis gleich wieder vergisst. Bei manchen wirkt das allerdings nicht mehr, die erstatten unnachsichtig Anzeige. „Und der Padrone hat noch mehr Ärger.“ Zwar ist der Nachweis, bei wem der Kranke wirklich gearbeitet hat, in der Regel schwer – „die bringen die Ohnmächtigen meist in entfernte Hospitäler“, hat Bram bemerkt, „wo sie sich nicht auskennen und der Polizei nicht mal mehr zeigen können, wo sie gearbeitet haben.“

Trotz der dann fälligen Einstellung des Verfahrens schätzen die Großbauern derlei Zwischenfälle ganz und gar nicht.

Deshalb werden in der letzten Zeit sogar häufig Pflücker aus der EU eingestellt. Wie der Holländer Bram, der sich seit drei Jahren in der Nähe von Bitonto in der Provinz Bari verdingt. Mit Leuten wie Bram geht es besser: „Wir kennen die Symptome, und keiner von uns will seine Gesundheit ernsthaft gefährden.“ Sie trinken ausreichend, nehmen tagsüber weder Alkohol noch Kaffee zu sich, tragen schützende Hüte und Wollpullover, die, anders als die Kunstfaser-T-Shirts der Osteuropäer, den Schweiß gut aufsaugen. Der Ärger ist gleichwohl vorprogrammiert. Dann nämlich, wenn es ans Zahlen geht.

Fast nie wird der versprochene Lohn wirklich ausbezahlt – Schnellarbeiter kommen theoretisch durchaus auf mehr als zehn Mark pro Stunde –, stets gibt es Gründe für allerlei Abzüge. So berechnen manche Großbauern den Arbeitern Fahrtgeld zum Feld oder ziehen 10 oder 20 Prozent wegen angeblich unsauberer Arbeit ab („Du zu viel Steine sammeln und Dreck“). Brams Freund weiß von einem Fall, in dem ein Arbeitgeber sogar die angeblichen Schutzgelder auf die Schwarzarbeiter umgelegt hat.

Wo die Afrikaner und Asiaten nur lautstark schimpfen, sich aber dann in ihr Schicksal fügen – aus Angst, bei Unbotmäßigkeit von niemandem mehr Arbeit zu bekommen, bei der Ausländerpolizei angeschwärzt oder schlichtweg zusammengeschlagen zu werden –, da werden Europäer ausgesprochen massiv. „Polen“, weiß Bram, „kannst du in Italien sowieso nicht einschüchtern – solange es diesen Papst gibt, werden sie von den Behörden wie heilige Kühe behandelt.“ Zudem treten sie meist in Gruppen auf, die einem Schlägerangriff durchaus standhalten. Wer aus der EU stammt, kennt sowieso seine Rechte, die Drohung mit der Ausländerpolizei verfängt nicht.

So hat Bram denn seinen Feudalherrn erst einige Male harsch angefahren, als dessen Vorarbeiter ihm Abzüge verpasste, und ihn dann angezeigt. Und der Padrone musste sich, zum ersten Mal in seinem Leben, wirklich ins Amtsgericht begeben. Eine mächtige Niederlage. Vorher war alles immer schon im Vorfeld eingestellt worden. Dass Bram dann doch nicht in den Zeugenstand getreten ist, den Mann also wieder hat entkommen lassen, rührt von einer einfachen Tatsache her: Wenige Wochen vor der Verhandlung hat ihn der Boss zum Vorarbeiter gemacht. Seither verdient er umgerechnet an die 3.000 Mark pro Monat – „ohne Steuern zahlen zu müssen“. Und so sagt er eben nicht aus. Aber durch seine Anwesenheit im Gerichtssaal hat er noch einmal unterstrichen, dass er könnte, wenn er wollte.

Dem Amtsrichter ist ein Fall wie dieser offenbar auch nicht zum ersten Mal begegnet – seine ironischen Sprüche in der Verhandlung zeugten deutlich davon. „Hast du gesehen, wie mich der angeschaut hat?“, sagt Bram mit einem eher dünnen Lachen – eine gewisse Erleichterung schwingt darin mit: „Ich dachte schon, er lässt meine Personalien feststellen.“ Dass das nicht geschah, zeigt wohl, dass dem Amtsrichter derlei Fälle inzwischen auch schnurzpiepegal sind.

„Üble Nachreden, Euer Ehren“, sagt er in dem leicht singenden Tonfall der Apulier. „Nachgewiesen ist nichts.“

Im Grunde hat auch Bram Verständnis für die hunderte Großgrundbesitzer, die ihre Arbeitskräfte fast ausschließlich schwarzarbeiten lassen: „Ich hab's mal durchgerechnet. Selbst wenn man rekordverdächtigte Akkordarbeiter nimmt und voraussetzt, dass sie nie krank werden, käme eine Kiste, würde man die Leute regulär anmelden, so teuer, dass man sie auf keinem Markt der Welt verkaufen könnte.“

Tatsächlich müsste ein Padrone bei regulärer Anmeldung in jedem Fall eine Verdreifachung des Pflückpreises in Kauf nehmen – unmöglich bei dem sowieso heiß umkämpften Markt, auf den mit jeder EU-Erweiterung noch neue Länder mit Billigprodukten drängen.

Der Zuzug von Pflückern aus EU-Ländern wird, da ist Bram sicher, diesen „Bereich bald grundlegend umstrukturieren“. Leute wie er – wiewohl ursprünglich tatsächlich nur zum Kistenfüllen angerückt, weil er zu Hause seine Arbeit als Techniker verloren und Lust auf ein paar Monate Italien hatte – „werden fast alle bald zu Vorarbeitern ernannt, weil sie meist gutes organisatorisches Talent mitbringen und die Arbeitseffizienz deutlich steigern“. Ein Freund von Bram konnte zum Beispiel den Bauern überzeugen, dass die Anschaffung von großen, auf Traktoren montierbaren Strahlern rentabel ist (mit Tageslichteffekt, damit man die roten Tomaten von den grünen auch nachts unterscheidet).

So wird nun auf diesen Feldern auch in der Nacht geerntet. Die schnellen osteuropäischen Arbeitskräfte können in den kühleren Stunden eingesetzt werden, während untertags die hitzegewohnten Afrikaner weiterernten. „Wo man früher zwei Wochen zum Abernten brauchte, sind die jetzt in vier Tagen fertig.“ Und mit den zehn Tagen früherer Neusaat ist der Bauer seinen Konkurrenten deutlich voraus. Dennoch: Auf Dauer will Bram den Job auch nicht machen. „Einmal, weil man verrückt wird, wenn man sieht, wie viele Leute bei diesem Hungerlohn immer mehr einschrumpfen.“ Und zum anderen, weil sich da ein hochexplosives Gemisch zusammenbraut: Die Osteuropäer „haben oft ziemlich gewalttätige Freunde zur Verfügung, und da werden all jene, die am Ende Lohn ausbezahlen, noch ihre blauen Wunder erleben.“ Denn alles in allem bleibt auch Bram, trotz seines „Aufstieges“, nichts anderes übrig, als die vom Padrone vorgegebenen Löhne nach dem Prinzip des geringsten Widerstands zu verteilen.

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