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Zimmer, Küche, Bad mit Ausblick

■  Kanzleramt im Rohbau fertiggestellt: Der mächtige Bau macht der Reichstagskuppel Konkurrenz. Architekt Schultes versteht Schröders Angst vor großen Räumen nicht

Man kann Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verstehen. Der Mann kommt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen niedersächischer Vorstädte, wo sparsam und piefig gebaut wurde. „Hätten Sie es nicht eine Nummer kleiner?“, hatte Schröder den Architekten Axel Schultes gefragt, als dieser ihm den Regierungssitz vorstellte. Zu hoch, zu riesig, zu weitläufig kam Schröder das Bauwerk vor. Der lange Riegel vom Platz der Republik bis zur Spree mit einem Turm in der Mitte erschreckte den Kanzler.

In der Tat, klein ist das neue Kanzleramt nicht, das gestern Axel Schultes im Rohbau präsentierte. Der Eingangshof mit seinen freistehenden Säulen kommt gewaltig daher, breite Treppenanlagen führen ins Innere des Bauwerks. 310 Büroräume, Säle und Repräsenationsräume beherbergt das 465 Millionen Mark teure Gebäude. Und das würfelförmige Machtzentrum, das wuchtig aus der Mitte der Betonwüste herausragt, macht gar der Reichstagskuppel Konkurrenz.

Dass der Bau groß geworden ist, ficht den Architekten nicht an. Das Kanzleramt habe in der Architektur der Stadt „etwas Besonderes darzustellen“. Auch den Vorwurf, das Gebäude sei „zu mächtig geraten“, wies der Architekt zurück: „Wir haben die Höhe von 44 Metern auf 36 reduziert.“ Außerdem entstehe in der Nachbarschaft ein riesiger Bahnhof, der einen kleiner geplanten Amtssitz „erdrücken würde“. Schließlich wirke der freistehende Bau größer, als er sei, da das vorgesehene „Bürgerforum“ zwischen Reichstag und Kanzleramt eine städtebauliche Verbindung herstellen sollte.

Was wirklich „groß“ an dem Bauwerk ist, sind die Ausblicke und Sichtbezüge aus dem Amt. Wenn der Kanzler sein neues Arbeitszimmer betritt, fällt sein Blick auf das Parlament im Reichstag, der im halbrunden Fenster wie eingerahmt erscheint. Zur anderen Seite hin bieten die großen Scheiben aus sieben Zentimeter starkem Panzerglas die Sicht auf die Skyline Berlins mit Siegessäule und Kongresshalle. „Es war uns immer wichtig“, betonte Schultes, „dass die Energien der Stadt in das Haus hineinströmen.“

Wenn sich das Kanzleramt schon jetzt einen Vorwurf gefallen lassen muss, dann den, dass Schultes den Begriff Größe nicht konsequent umgesetzt hat. Wer als Besucher aus der Eingangshalle die sieben Stockwerke hinaufgeht, muss vorbei an einer Fülle kleinteiliger Treppchen und Emporen, die putzig daherkommen. Außerdem verliert sich in den Etagen der Bau in unzählige Eckchen und verschnörkelte Winkel zwischen Säulen und Wandflächen. Weniger wäre hier mehr gewesen.

Erst ganz oben, im siebten Geschoss, löst sich der Bau wieder auf in luftige weite Kulissen, die die Stadt und die Natur als große Bilder einfangen. Hier befindet sich auch die Kanzlerwohnung, vor deren Größe Schröder keine Angst haben muss: zwei Zimmer, Diele, Küche, Bad.

Rolf Lautenschläger

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