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Die Lust beim Lesen

■ Elf Jahre nach Devilles Verfilmung hat Radio Bremen jetzt eine Hörspielfassung von Jeans„Die Vorleserin“ produziert

Marie Constance hört auf den Rat einer Freundin: Die „abgebrochene“ Studentin und Ex-Schauspielschülerin gibt ein Inserat auf, in dem sie ihre Dienste als Vorleserin anbietet. Der Argwohn des Mannes von der Anzeigenannahme interessiert sie nicht. Sie wagt den sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser und lernt in ihrem neuen Beruf bald nicht nur ihre Heimatstadt neu kennen sondern auch sich selbst.

Diese paar Zeilen sind sozusagen der Klappentext für Raymond Jeans 1986 veröffentlichte Erzählung „La Lectrice“ („Die Vorleserin“). Schon zwei Jahre später wurde sie mit Miou Miou in der Hauptrolle von Michel Deville verfilmt. Im Auftrag Radio Bremens und des Saarländischen Rundfunks ist jetzt eine Hörspielfassung dieser zugleich (subtil) erotischen und Chabrol-haft im französischen Provinzmief herumstochernden Liebeserklärung an die Literatur hinzugekommen.

Während Michel Deville seine Verfilmung regelrecht choreographierte und darin Traum und Realität ineinander verschachtelte, stülpt Hans Helge Ott der Vorlage in seiner Funkbearbeitung keinen auffälligen Regieeinfall über. Unter seiner Leitung ist die Geschichte der Vorleserin halb Schilderung von etwas Vergangenem und halb Szenenmontage im Präsens.

Svenja Pages sprechspielt die Vorleserin als junge Frau, die nicht naiv, aber mit kaum getrübter Neugier entdecken will. Dass schon ihr erster Kunde, ein behinderter Junge, größeres Interesse an der Höhe ihres Rocksaums als an der vorgelesenen Lektüre hat, nimmt sie in Kauf.

Sie macht sich bei ihm genauso bewusst zu einem Objekt der Begierde wie sie sich bei den Vorlesestunden bei einer schrulligen alten Gräfin an die gewünschte Lektüre Marx gewöhnt. Sie wird zum Teil des Lebens ihrer Kundschaft, erfüllt bald sogar unausgesprochene Wünsche und setzt ihre Grenzlinien bis zum abrupten Ende eher passiv als aktiv immer ein Stückchen weiter.

Wer Devilles Film noch gut in Erinnerung hat, wird aus dieser Hörspielfassung kaum etwas Neues heraushören. Für alle anderen und die dem Vernehmen nach wieder wachsende Hörspielgemeinde aber ist diese handwerklich saubere, nicht mit Musik von Beethoven (wie bei Deville), sondern mit plätschernd-beschwingtem Cocktail-Samba unterlegte Inszenierung ein federleichtes Sommerhörvergnügen. ck

Ursendung von „Die Vorleserin“ als Auftakt einer neuen Dienstags-Reihe namens „Unerhörte Leidenschaften“ am 7. September um 22.05 Uhr auf Radio Bremen 2. Am Mittwoch, 8. September, gibt's die „Vorleserin“ live: Svenja Pages liest ab 20 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen, dazu erklingt Live-Musik (Eintritt zwölf/acht Mark).

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