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Drei Juristen, fünf Meinungen

taz-Serie „Jeden Tag ein guter Grund für den Atomausstieg: Der rechtliche Schlagabtausch zur geplanten Änderung des Atomgesetzes ist in vollem Gange  ■   Von Constanze Oehlrich

Berlin (taz) – „Entschädigungsfrei“ wollen SPD und Grüne laut Koalitionsvertrag den Ausstieg aus der Atomenergie hinbekommen, und zwar durch eine Fristenlösung: Im Idealfall sollen die bestehenden Atomkraftwerke nach 25 Jahren Laufzeit vom Netz gehen. Die Atomindustrie schreit jedoch Zeter und Mordio, behauptet, dass ein Atomkraftwerk erst nach 30 bis 35 Jahren Gewinn abwirft, und droht im Falle eines vorzeitigen Ausstiegs mit Entschädigungsforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Ein Gutachten folgt dem anderen, unterschwellig ist der juristische Schlagabtausch also schon in vollem Gang.

Der Ausstieg aus der Atomenergie soll laut Koalitionsvereinbarung schrittweise erfolgen. Zunächst ist eine Änderung des Atomgesetzes vorgesehen. In einem zweiten Schritt will sich die Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen auf eine neue Energiepolitik einigen. Als dritter Schritt soll dem Bundestag der Entwurf für ein Ausstiegsgesetz vorgelegt werden.

Die Koalitionsvereinbarung ist nun schon fast ein Jahr alt. Viel hat die Bundesregierung jedoch nicht erreicht. Auf jeden Fall hat die Bundesregierung damit Arbeit geschaffen: wenigstens für Atomrechtler. Die streiten sich, vorzugsweise auf schriftlichem Wege, um Folgendes: Wenn die Bundesregierung die Laufzeit der Atomkraftwerke auf 25 Jahre begrenzt, kann darin eine Enteignung der Betreiber gesehen werden. Die hätten damit die Möglichkeit, das Ausstiegsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu kippen.

„Das Eigentum wird gewährleistet“, heißt es in der Verfassung. Zwar entscheidet der Gesetzgeber, was zum Eigentum gehört und was nicht. Vieles spricht jedoch dafür, dass es sich bei der Befristung der Laufzeit nicht nur um eine Inhaltsbestimmung, sondern um einen Rechtsentzug handelt. Denn nach dem Ablauf der Betriebserlaubnis besitzen die betroffenen Atomkraftwerke keinen wirtschaftlichen Nutzwert mehr.

Auf den Bestand von Gesetzen dürfen sich die Bürger normalerweise nicht verlassen, auf den Fortbestand gesetzmäßig erworbener vermögenswerter Rechte hingegen schon. Wenn der Gesetzgeber dieses Vertrauen enttäuscht, muss er entschädigen – oder für einen „schonenden Übergang“ sorgen. Doch was heißt das konkret? Wie viel Laufzeit muss man, rein rechtlich, einem Atomkraftwerk zugestehen: 25, 30 oder 35 Jahre?

Rein rechtlich sind die Differenzen in der Frage jedoch mindestens genauso groß wie die politischen. „Dazu gibt es drei Juristen und fünf Meinungen“, meint Dirk Hellfahrt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Jena. Und er muss es wissen. Denn seine Promotion beschäftigt sich mit dem Bestands- und Vertrauensschutz im Atomrecht.

Ob eine Übergangsfrist angemessen ist oder nicht, hängt entscheidend davon ab, nach wie vielen Jahren sich ein Atomkraftwerk gerechnet hat. Das fällt jedoch in den Zuständigkeitsbereich der Betriebswirte. Ein gewisser Entscheidungsspielraum bleibt den Juristen nur noch bei der Frage, ob ein Atomkraftwerk ein paar Jahre lang Gewinn abgeworfen haben sollte, bevor man es vom Netz nimmt. Und das ist, so Hellfahrt, „eine Glaubensfrage“. Nach seiner Einschätzung „wird man jemanden nicht einfach investieren lassen, nur damit am Ende Null rauskommt“.

Angesichts all dieser rechtlichen Schwierigkeiten hat Detlef Chrzonsz, Bundesvorsitzender der Christlichen Demokraten gegen Atomkraft, einen – wie er findet – viel besseren Vorschlag: „Warum nicht einfach die Atomkraftwerksbetreiber per Atomgesetz für eventuelle Schäden haftbar machen – und zwar unbegrenzt? Damit kämen die Betreiber auf Versicherungsbeiträge in der Größenordnung von 500 Milliarden Mark im Jahr und würden sofort aussteigen.“

Doch so einfach wie einleuchtend ist das Ganze nicht. Zumindest, wenn man den Blick auf den Effekt richtet, den eine unbeschränkte Haftung haben würde. Durch die Notwendigkeit einer hohen Versicherungssumme würde man die Wirtschaftlichkeit eines Atomkraftwerks zunichte machen. Also würde es sich, so Hellfahrt, auch dabei um eine Enteignung handeln.

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