: Spezielle Spezies
Hamburg als geistige Lebensform: Matthias Wegners „Hanseaten“ ■ Von Frauke Hamann
Ob es nicht anachronistisch sei, befragt der gebürtige Hamburger Matthias Wegner sich und sein Thema, die Voraussetzungen und Lebensformen der „Hanseaten“ zu erkunden? Und wie ließen sich Lebensart und Charakter der Menschen im Norden Deutschlands überhaupt treffend beschreiben, wo doch „Urteile über geographische, ethnische oder soziale Gruppierungen immer auswechselbare Klischees bleiben“ müssen? Wegner hat seine Kindheit und Jugend in München verbracht und Hamburg zunächst als fern und fremd erlebt. So ist seine umfangreiche Geschichte der Hanseaten. Von stolzen Bürgern und schönen Legenden eine Annnäherung an die eigene Herkunft und zugleich „eine lockende Herausforderung an unsere Beobachtungskräfte“. Wegner fragt zweifelnd: „Gibt es sie überhaupt, diese „'Hanseaten'?“, und setzt seinen zentralen Begriff durchgehend in distanzierende Anführungszeichen.
Die Zuschreibungen klingen vertraut wie jedes Klischee: weltoffen, urban, nüchtern und zuverlässig, reserviert und steif seien die Hanseaten, ihre Besonderheiten erschöpften sich eben nicht in der geographischen Definition, dass Hanseaten die Bewohner der hanseatischen Städte seien.
In seiner „Spurensuche nach den 'Hanseaten', die zwangsläufig auf einige herausgehobene Beispiele beschränkt bleiben“ müsse, blätttert Wegner die Geschichte Bremens, Hamburgs und Lübecks seit den Zeiten der Hanse auf. „Die Hanse war ein Städte- und ein Männerbund, eine Vereinigung von Geschäftsleuten, die mittels Börse und Gesangbuch Macht ausübten.“ Ausgehend von der Gründung der Hanse, unternimmt der Autor einen Gang durch die Geschichte, verknüpft die Schilderung ökonomischer und gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklungen mit den Lebensgeschichten einflussreicher und bedeutsamer Persönlichkeiten. Aus dieser Porträt-Sammlung exemplarischer Hanseaten und einer Fülle städtischer Entwicklungsbesonderheiten entwirft er mit historischem Material ein gesellschaftliches Panorama, das die anfangs formulierten Zweifel an der Existenz wirklicher Hanseaten abschwächt.
Die historische Sonderrolle als souveräne und freie Kaufmannsrepubliken, die Ausbildung eines protestantischen Berufsethos und die Entwicklung eines spezifischen Bürgerstolzes hat vornehmlich die Oberschicht in den hansischen Städten geformt und nachhaltig geprägt. „Geh in die Schweiz und dann nach Hamburg, um zu wissen, was Freiheit für Leute macht; und dann an die Höfe, um zu sehen, wie Sklaverei den Menschen verschnitzelt, bis er so klein wird, dass er driechen kann,“ schrieb der Journalist Friedrich Daniel Schubart im 18. Jahrhundert. Markant war der wirtschaftliche Eigensinn der Hansestädte: Ihre Partner waren die Kaufleute in aller Welt, ihr Handeln hatte ihnen selbst zu dienen.
Wegner schaut genau hin und sucht nach den Unterschieden zwischen den drei Hanseschwestern: Auch in Lübeck haben Geld und Gesangbuch dominiert, allerdings ist es an der Trave gemächlicher zugegangen als an Elbe und Weser. Selbstredend haben die Großkaufleute und Juristen die Rolle der „eigentlichen Hanseaten“ für sich beansprucht. Doch neben „brutalem Merkantilismus“ und dem Diktat der Kontorbücher hat die Kaufmannschaft mit viel Engagement und philanthropischer Energie auch Wissenschaft und Kultur gepflegt und mit gemeinnützigen Gesellschaften auch soziale Verantwortung und Verpflichtung entwickelt.
Wegner geht es um jene Faktoren, die verantwortlich sind für historisch gewachsene Schattierungen, für die kleinen und großen Unterschiede in Mentalität und Vorlieben, für Tugenden und Eigenheiten – eben für jene feinen Widersprüche zwischen dem Verhalten von Menschen. Wie wirksam diese Faktoren sind, bezeugt Thomas Manns berühmter Aufsatz Lübeck als geistige Lebensform ebenso wie seine feine Ironie im Zauberberg, wo es über Hans Castorp heißt: „Was er hinter den Ohren hat, ist sein Hanseatentum, das sich nicht mehr in höherem Seeräubertum, sondern anders, stiller und geistiger bewährt: In einer Lust am Abenteuer im Seelischen und Gedanklichen.“
In seiner Zusammenschau von Lesefrüchten, von Eckart Kleßmanns Geschichte der Stadt Hamburg oder Ron Chernows großer Warburg-Chronik, beim Rückgriff auf Brockes und Hagedorn, Lenz und Lessing, Wichern und Overbeck – vor allem aber Thomas Mann – muss Wegner bei seinem Gang durch die Jahrhunderte einräumen, dass sich in der Gegenwart kaum noch Persönlichkeiten finden lassen, die als Hanseaten bezeichnet werden könnten. „Es gibt sie wohl gar nicht mehr, die 'Hanseaten'“, lautet sein Abgesang, doch fällt er sich sogleich selbst ins Wort: „Es leben die Ausnahmen!“ Wegner beschließt seine Geschichte von stolzen Bürgern und schönen Legenden mit einer Lobpreisung des „imponierenden“ Jan Philipp Reemtsma: Er weise „höchste ökonomische Kompetenz“ auf, „gepaart mit ideologiefreier sozialer und kultureller Verantwortlichkeit, Opferbereitschaft, Gemeinsinn und aufklärerischem Furor bei persönlicher Bescheidenheit“. Das hat der Mann nicht nötig.
Matthias Wegner: Hanseaten. Von stolzen Bürgern und schönen Legenden, Siedler Verlag, Berlin 1999, DM 59,90.
Buchpräsentation mit Matthias Wegner, begleitet von Ulrich Tukur, heute, Hamburger Kammerspiele 20 Uhr.
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