■ Bundesfinanzminister Eichel will obligatorische Zusatzrente: Die heilige Kuh der Deutschen
Wenn Finanzminister Hans Eichel sagt, allein mit dem gesetzlichen Umlagesystem sei die Rente in Zukunft nicht mehr zu finanzieren, spricht er ein offenes Geheimnis aus – und doch ein Tabu. Denn längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Das Rentensystem, der Generationenvertrag, das Herzstück deutscher Sozialpolitik wird in wenigen Jahrzehnten ad absurdum geführt sein. Dann wird ein Arbeitnehmer mit seinem Gehalt einen Rentner versorgen müssen – ein Ding der Unmöglichkeit.
Nun sind Rentenreformvorschläge ein heißes Thema: Schon bei der vergangenen Bundestagswahl waren mehr als ein Drittel aller Wähler über 60 Jahre alt. So schieben sich Regierung und Opposition den schwarzen Peter im Vierjahresrhythmus zu. Kaum hatte Bundesarbeitsminister Walter Riester vorgeschlagen, jeden Rentenversicherten zur Ansparung von 2,5 Prozent seines Einkommens zu verpflichten, polemisierte Bild gegen die „Zwangsrente“. Dabei ist der Vorschlag, einen Teil der Altersvorsorge zusätzlich zur staatlich gesicherten Rente selbst anzusparen in anderen Ländern längst gang und gäbe. Das gilt nicht nur für kapitalistische Tigerstaaten wie Chile, sondern auch für Länder wie Schweden – dem Wohlfahrtsstaat schlechthin.
Hierzulande jedoch wird sich wohl nur ein parteiübergreifendes Bündnis an die heilige Kuh „Rentensystem“ wagen können. Denn alle Möglichkeiten, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, sind unpopulär: Eine aktive Bevölkerungspolitik zu betreiben – wobei hier nur wirkliche Anreize, wie eine gesetzlich garantierte kostenlose Ganztagskinderbetreuung und eine spürbare finanzielle Entlastung erfolgreich sein könnten – ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Die in vielen Arbeitsjahren erwirtschaftete staatliche Alterssicherung anzutasten, gilt als unsozial, auch wenn es sich lediglich darum handelt, die Rentenanpassung auf die Inflations-, statt auf die Lohnzuwachsrate zu beschränken.
So weiterzumachen – also nur an die nächste Wahl zu denken und sich durchzulügen – wird hingegen von der jeweiligen Regierung als „sozial“ verkauft und kostet allenfalls die Stimmen von übermorgen. Haben noch die Rentner von heute während ihres Arbeitslebens kurz getreten, um den Ruhestand genießen zu können, werden die Arbeitnehmer von heute im Ruhestand kurz treten müssen, während sie heute schon rund ein Fünftel ihres Einkommens an die Rentner abgeben müssen – Tendenz: steigend.
Katharina Koufen
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