: Streitkräfte üben sich im öffentlichen Protest
■ Uniformierte Bundeswehrsoldaten kritisieren erstmals die Sparpläne der Bundesregierung
Berlin (taz) – Angesichts des um 18,6 Milliarden Mark gekürzten Verteidigungshaushalts 2000 artikulierten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Soldaten in Uniform ihren Protest öffentlich. Zu der Veranstaltung am Wochenende im Berliner ICC hatte der Bundeswehr-Verband eingeladen.
Bernhard Gertz, Vorsitzender der seit 1956 existierenden Interessenvertretung, kritisierte vor den rund 5.200 geladenen Bundeswehrangehörigen, das vom Kabinett beschlossene Sparprogramm. Es stelle einen „objektiv unerträglichen Eingriff in die Substanz der Streitkräfte“ dar. Obwohl es dennoch wichtig sei, wie Oberst Gertz vor Journalisten sagte, ihrem Fürsprecher „Rudolf Scharping den Rücken zu stärken“, empfingen Buhrufe und Pfiffe den Verteidigungsminister.
Der räumte in seiner Rede zwar eine veraltete technische Ausrüstung der Armee ein, schob den schwarzen Peter jedoch auf die „ziel- und planlosen“ Umstrukturierungsmaßnahmen der Kohl-Regierung. Union und FDP bot Scharping jedoch eine Zusammenarbeit bei der Modernisierung der Bundeswehr an. Die Reaktionen auf Scharpings Rede, in der er offen die Defizite des Verteidigungshaushalts benannte, schlugen denn auch in Beifall um.
Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, wies die Bundeswehr-Kritik am Sparprogramm zurück. Im Hessischen Rundfunk sagte sie, die internationale Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sei durch zusätzlich bereitgestellte zwei Milliarden Mark gewährleistet.
Zu den von verschiedenen Initiativen angekündigten Protestaktionen von Bundeswehrgegnern konnten bei strahlendem Sonnenschein hingegen kaum Teilnehmer mobilisiert werden. Bereits im Vorfeld der Tagung hatte es in Berlin Hausdurchsuchungen gegeben. Ralf Siemens von der „Kampagne gegen Wehrpflicht“ kritisierte die fortschreitende Kriminalisierung von Wehrdienstgegnern: „Uns wird eine straff organisierte Untergrundstruktur unterstellt.“ Störaktionen seien jedoch nicht geplant gewesen. So forderten die einzigen Transparente, die im Saal entrollt wurden, die Erhaltung von Bundeswehrstandorten und den Stopp von Stellenkürzungen.
Vor dem weiträumig abgesperrten ICC-Tagungsgebäude versammelten sich nur rund ein Dutzend Aktivisten. Die „Kampagne gegen Wehrpflicht“ hatte in einer Berliner Fußgängerzone mit einer satirisch gemeinten Aktion für die „notleidende“ Bundeswehr zu Spenden aufgerufen. Das Geld wurde dem Bundeswehr-Verband übergeben. Immerhin: 31,70 Mark. Christoph Rasch
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