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Koalitionsfleiß für Kopfnoten

SPD und CDU verhandeln in Brandenburg über eine Koalition. Mit viel Eifer nähern sich die ehemaligen schulpolitischen Todfeinde an    ■ Von Richard Rother

Betragen drei, Fleiß zwei, Ordnung drei, Mitarbeit eins – für aufgeweckte Brandenburger Jungs waren das vor zehn Jahren durchaus durchschnittliche Zensuren. Demnächst werden die Klassenleiter in Brandenburg, bisher bekannt für progressive Schulpolitik, wieder die so genannten Kopfnoten vergeben – jährlich bis zur zehnten Klasse.

SPD und CDU, die ab morgen über ein gemeinsames Regierungsprogramm verhandeln, haben sich in ihren bildungspolitischen Konzepten weitgehend angenähert. Dass eine mögliche Große Koalition an Differenzen in der Schulpolitik scheitern könnte, glaubt in Potsdam niemand mehr. Schon im Wahlkampf übernahm der SPD-Landesvorsitzende Steffen Reiche von den christlich unionierten Konkurrenten zum Beispiel das Thema Kopfnoten. Motto: Ohne Disziplin keine Leistung. Zwischen Prignitz und Lausitz, zwischen Havel und Oder teilen viele aus dem Volk Reiches Ansicht. Mehr als vier Fünftel der Brandenburger sprachen sich in Umfragen für die Wiedereinführung der Verhaltensnoten aus. Bei den LehrerInnen im Land ist die Zustimmung dafür besonders hoch. Mit Kopfnoten, so glauben sie, könnten sie ihre seit der Wende verlorene Autorität wieder erlangen.

Kein Wunder, dass die SPD sich mittlerweile dieser Stimmung angepasst hat. Zwar lehnen die Brandenburger SPDler die traditionellen Kopfnoten noch ab. Aber „wir wollen den Schülern ihre erworbenen Kompetenzen im Arbeits- und Sozialverhalten (...) auf der Grundlage standardisierter Vorgaben bescheinigen“, hieß es bereits im Wahlprogramm. „Damit sind wir der CDU schon sehr nahe gekommen“, sagt SPD-Fraktionssprecher Ingo Decker. Bisher seien Verhaltensbeurteilungen in den Zeugnissen nur fakultativ. Dies ließe sich ändern, so Decker.

Ob das der CDU reicht, ist zweifelhaft. Die bisherigen Beurteilungen würden viele Eltern nicht verstehen, weil darin rumgeeiert werde, meint CDU-Landessprecher Johannes Bohnen. „Da steht ja nicht drin, der Schüler XY ist faul.“ Da brauche man klare Aussagen. „Es war nicht alles schlecht in der DDR“, sagt der CDU-Mann Bohnen.

Auch in zwei anderen Fragen ist die SPD längst auf CDU-Kurs. Demnächst sollen die Brandenburger in zwölf Jahren die Hochschulreife erlangen – mit einer zentralen Abiturprüfung. Das lehnt nicht nur die PDS ab. Auch Bildungsreformer warnen davor, die differenzierten Schultypen, die zum Abitur führen, über den Kamm einer zentralen Prüfung zu scheren: Gymnasium, Gesamtschule sowie das technisch orientierte Oberstufenzentrum vergeben die Hochschulreife. „Die lehren jeweils nach unterschiedlichen pädagogischen Konzepten“, sagt Harald Petzold, Bildungsexperte der PDS. Die SPD sieht das nicht so: Ob eine Schule gut sei oder nicht, hänge vor allem von einem ab, meint Fraktionssprecher Decker: von ihrem Management.

Die CDU begrüßt das Entgegenkommen der SPD. Nicht ohne Hintergedanken. Denn mit dem Abitur in zwölf Jahren könnte eine andere Brandenburger Besonderheit obsolet werden, die den Christdemokraten schon lange nicht passt: die flächendeckende sechsjährige Grundschule. Grund: Die von der Kultusminsiterkonferenz geforderten 265 Wochenstunden für die Sekundarstufe I und die gymnasiale Oberstufe seien in sechs Jahren rein rechnerisch nicht zu schaffen, so Bohnen. „Wenigstens für Gymnasiasten muss es da Ausnahmen geben“, sagt Bohnen. Bislang ist Brandenburg neben Berlin das einzige Bundesland, das an egalitären Grundgedanken festhält und die Sortierung der Schüler in verschiedene Schultypen ausnahmslos erst nach sechs Jahren zulässt.

Auf Ausnahmeregelungen und Modellversuche würde sich mittlerweile wohl auch die SPD einlassen, obwohl sie aus einem ganz banalen Grund an der sechsjährigen Grundschule festhält. Niemand wüsste, wo man sonst mit den vielen überflüssigen Grundschullehrern hin sollte. Ein anderes Argument für die prinzipielle Beibehaltung der bisherigen Grundschule ist die Nähe zu Berlin; die Fusion beider Bundesländer steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Auch in der Hauptstadt, seit Jahren von einer Großen Koalition regiert, gibt es die sechsjährige Grundschule – mit Ausnahmemöglichkeiten.

Auch beim Thema Gesamtschulen – diese sind in Brandenburg faktisch Regelschulen – gibt sich die CDU kompromissbereit. „In einem Flächenland, in dem eine Gesamtschule weit und breit die einzige Schule ist, können wir die gar nicht abschaffen“, sagt Bohnen. Man wolle diese Schulform aber sukzessive zurückdrängen. Vom Tisch sind die CDU-Überlegungen, bisherige Gesamtschulen am gleichen Standort einfach in eine Real- und eine Hauptschule aufzuteilen, aber auch aus einem anderen Grund: Kein Mensch weiß, von welchem Geld das bettelarme Brandenburg die dafür notwendigen Lehrerstellen bezahlen wollte.

Bleibt als einziger strittiger Punkt das Fach Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde (LER), das Brandenburg entwickelt hat, um Werte vermittelnden Unterricht nicht ausschließlich an das konfessionelle Fach Religion zu koppeln. Die SPD, die das neu Fach einst mit jakobinischer Härte durch den Landtag drückte, wollte LER eigentlich ausbauen. Vor den Koalitionsverhandlungen signalisiert die CDU, deren Verfassunsgklage gegen LER nach wie vor in Karlsruhe liegt: „Wir haben nie gesagt, dass wir LER abschaffen wollen“, sagt Bohnen – und präsentiert ein vermeintlich ideologiefreies Argument. Die CDU fordere „lediglich“ die Wahlmöglichkeit zwischen LER oder Religion an jeder Schule. Auch bei Gesamtschulen und Gymnasien hat die scheinbar friedliche Koexistenz der Bildungsformen schon häufig zum Tod geführt. Weil die Gymnasien die besten Schüler anziehen, gehen in benachbarten Gesamtschulen die Lichter aus. In Brandenburg könnte es mit LER und Religion freilich gerade andersherum gehen, als sich die CDU das wünscht. Religion zieht, als freiwillige Alternative, nicht recht in der ungläubigen Mark.

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