: Warten auf Wasser aus der Luft
■ Was die Flüchtlinge in Osttimor jetzt am meisten brauchen, sind Nahrungsmittel. Doch die UN-Hilfe wird von den Milizen bedroht
Jakarta (taz) – Jede Stunde ist kostbar, um den hunderttausenden Menschen zu helfen, die vor dem Terror proindonesischer Milizen in die Berge Osttimors geflüchtet sind. Hunger, Kälte und Erschöpfung bedrohen das Leben vor allem der Kinder. Außer Wurzeln und Gräsern können sie kaum etwas finden, viele Bäche sind versiegt, da gerade Trockenzeit herrscht.
Doch obwohl Hilfsorganisationen wie das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bereit sind, schnell und massiv Nahrungsmittel und Medikamente nach Osttimor zu bringen, stehen sie vor großen Schwierigkeiten: Ihre Flugzeuge, Lastwagen und Schiffe können nur auf den Weg geschickt werden, wenn sie sicher sind, bei der Ankunft nicht von Milizen oder Militärs beschossen zu werden.
Diese Sicherheitsgarantie wollten die indonesischen Behörden bislang allerdings nicht geben, erklärte gestern eine Sprecherin des UNHCR in Sydney.
Die australische Organisation Ausaid will deshalb schon bald beginnen, Lebensmittelpakete über Osttimor abzuwerfen. Diese Methode ist jedoch sehr umstritten, wie die Mitarbeiter von Ausaid selbst einräumen: Sie fürchten, dass die hungrigen Flüchtlinge nach dem Abwurf der Pakete aus ihren Verstecken kommen – und dann direkt in die Arme der Milizen laufen.
Auch in den Stützpunkten der für die Unabhängigkeit kämpfenden Falintil-Guerilla ist die Situation kritisch: Dorthin haben sich ebenfalls zehntausende gerettet. Obwohl auch hier großer Hunger herrscht, konnten sich die Flüchtlinge bislang relativ sicher fühlen. Doch nach unbestätigten Berichten begannen die Milizen gestern, ein Falentil-Lager anzugreifen, das 50 Kilometer von Dili entfernt liegt.
Bislang hat sich die Guerilla auf Weisung des Rebellenchefs Xanana Gusmao weitgehend ruhig verhalten, um der Armee keinen Vorwand zu einer militärischen Offensive zu liefern. In Osttimor sind etwa 18.000 Soldaten stationiert, die Falentil wird auf höchstens 2.000 Kämpfer geschätzt.
„Die letzten Tage vor der Ankunft der Friedenstruppen sind für die Flüchtlinge besonders gefährlich“, sagte der Mitarbeiter eines Hilfswerkes gestern in Jakarta. Die Sorge: dass die bewaffneten Banden in der letzten Wut ihre Mord- und Zerstörungskampagne noch steigern.
Hinweise über systematisch organisierte Morde mehren sich. Flüchtlinge berichten, dass Milizen mit Namenslisten Busse und Flüchtlingskonvois durchkämmten. „Ich sah Milizen und Soldaten, die Priester und Nonnen ermordeten“, zitierte eine Zeitung einen Flüchtling in der westtimoresischen Stadt Kupang. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge kann nur grob geschätzt werden. Die UNO nennt Zahlen zwischen 300.000 und 600.000 Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Im indonesischen Westtimor sind inzwischen über 140.000 Flüchtlinge eingetroffen. Die Behörden haben angekündigt, dass sie einen großen Teil auf andere Inseln Indonesiens umsiedeln wollen. Es ist bislang kaum möglich, sich über die Situation in den Flüchtlingslagern ein Bild zu machen: Die proindonesischen Milizen, die die Camps beherrschen, verweigern ausländischen Journalisten gewaltsam den Zugang. Ein Team des CNN, das gestern ein Lager besichtigen konnte, berichtete von einem Klima der Angst. Flüchtlinge flüsterten, dass sie mit Waffengewalt in die Lager gezwungen worden seien. Offenbar werden sie als Geiseln gehalten. Männer wurden von Milizen aus den Lagern gezerrt und nicht mehr gesehen, heißt es. Frauen würden vergewaltigt.
Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisation World Vision berichteten gestern von Gewehrfeuer in der westtimoresischen Grenzstadt Atambua. Daher werde der Transport von Hilfsgüterin in die Stadt immer schwerer, proindonesische Milizionäre hätten zahlreiche Lastwagen gestohlen. Die Lage werde sich weiter verschlimmern, da noch mehrere zehntausend Flüchtlinge aus Osttimor erwartet werden. UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson hatte am Montag erklärt, sie habe konsistente und glaubwürdige Beweise dafür, dass Militärs und Polizei gemeinsam mit den Milizen an „einem wohlgeplanten und systematischen Programm von Mord, Vertreibung, Zerstörung von Eigentum und Einschüchterung“ beteiligt seien, die zur Verurteilung vor einem internationalen Gerichtshof führen könnten. Jutta Lietsch
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