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Freispiel des Ungeregelten

Klingende Augenblicke: Zum sechsten Mal treffen sich Musiker und Musikerinnen beim „Real Time Music Meeting“  ■ Von Roger Behrens

Die Improvisation ist der herrschenden Musikkultur nicht geheuer; zu sehr entzieht sich das Ungeregelte, Ungeordnete den gängigen Klischees, nach denen der Wert und Zweck von Musik beurteilt wird. Die Gesellschaft, die nach dem Grundraster von Konkurrenz und Leistung verfährt, hat die Ideologie totaler Betriebsamkeit längst zum Leitmotiv der Kultur gemacht: Alles muss arbeiten, alles kann nach Maßgaben geleisteter Arbeit bewertet werden: Auch damit verliert die Kunst ihre Autonomie, die sie einmal durch Spiel- und Freiräume reklamierte.

Das freie Spiel, ja eine verspielte Freiheit, die für die Barockzeit einst kennzeichnend war, ist allein schon durch die fabrikmäßige Organisation der Musik verdrängt, die im Dirigenten, sitzendem Orchester oder einer festen Metrik ihren Ausdruck findet.

Die Kunst der Improvisation, die zusammenfiel mit der damals höheren Stellung der Instrumentalisten gegenüber den Komponisten, ist ausgerechnet durch den Starkult zum kalkulierten Effekt gemodelt worden, zum kruden Virtuosentum: Schon bei Paganini oder Liszt war die Improvisation eine einge-plante Angeberei mit Geschwindigkeit. In der populären Musik wird die Improvisationskunst wenigstens teilweise rehabilitiert; während im Rock verschiedenster Metal-Legierungen die spätromantische Idee der Improvisation als Fingerübung der Meister stumpf wiederholt wird, kommen die subversiven Impulse bekannterweise aus dem Jazz. Zwar gibt es auch hier Virtuosen, doch konzentriert sich die Improvisation auf den musikalischen Gehalt, auf den klingenden Augenblick. Aus dieser Weise des Improvisierens hat auch die zeitgenössische Musik Konsequenzen gezogen: Am Ende ihrer Materialentwicklung bleibt die Improvisation der einzige Ort des möglichen Fortschritts.

Vor drei Jahrzehnten wurde unter dem Namen des Avantgarde-Rock der Versuch unternommen, eine experimentelle und progressive Popmusik mittels der Improvisation zu etablieren. Vielleicht erinnert sich noch jemand an Bands wie Henry Cow, Slapp Happy oder Art Bears, in denen sich Musikerinnen und Musiker wie Dagmar Krause, Chris Cutler, Fred Frith und Tim Hodgkinson zusammenfanden. Das Bandkonzept wurde schließlich zugunsten eines offeneren Kollektivs aufgegeben. Für Hodgkinson war dies der einzige Weg, die Improvisation weiterzuführen, sie als „Lebenshaltung, als eine Sprache mit individuellen Vokabularen“ (Peter Niklas Wilson) zu begreifen. In diesem Sinne wird er an dem diesjährigen „Real Time Music Meeting“ teilnehmen, das heute und morgen Abend im Monsun Theater stattfindet. Bei dem von Trompeterin Birgit Ulherr und Percussionisten Wolfgang Ritthoff organisierten, vor sechs Jahren erstmals initiierten Festival, werden diesmal zehn Musikerinnen und Musiker zusammenkommen und in unterschiedlichsten und wechselnden Besetzungen – vom Duo bis zum Tutti – einen Höreindruck vom gegenwärtigen Stand der internationalen Free-Music-Szene vermitteln. Bei diesem Festival, betonen die Veranstalter Ulherr und Ritthoff, „geht es nicht nur um die virtuose Handhabung des Instruments, sondern auch um das Entwickeln einer eigenen Sprache.“

heute und morgen, 20 Uhr, Monsun Theater, Friedensallee 20

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