: Der Blues muss bewaffnet sein
Die Independentszene der DDR rottete sich noch einmal zu einer Buchpräsentation im Prater zusammen: „Wir wollten immer artig sein“. Eigentlich schön, wie man den Staat damals ins Knie gefickt hat ■ Von Gunnar Leue
Ein Zufall, wie von der Stasi inszeniert: Am Freitagabend gingen in der Stadt gleich zwei Treffen mit Veteranen des renitenten Ost-Rocks über die Bühne. Im Tränenpalast spielten die legendären Renft auf der Record-Release-Party zu ihrer ersten Studioplatte seit 25 (!) Jahren vor ihren mitgealterten Fans. Die Platte hat den trotzigen Titel „Als wenn nichts gewesen wär“. In jeder Hinsicht ein rührender Wunschgedanke.
Die Leute, die sich ein paar Ecken weiter im Prenzlauer Berg trafen, hatten dagegen keine Lust auf trauriges Sentiment – vielleicht, weil sie sich selbst schon zu DDR-Zeiten viel weniger ernst genommen hatten und dabei den Staat mit ihrer Widerspenstigkeit mindestens genauso ins Knie fickten wie die Renft-Rocker mit ihren angespitzten Texten. Im Prater hatten sich etliche Protagonisten der in den 80ern entstandenen unabhängigen DDR-Musikszene zusammengerottet – eine Szene, die mit pseudolyrischer Zwischen-den-Zeilen-Kritik an der DDR nichts am Hut hatte, sondern den Scheiß-Staat direkt angriff.
Was damals am besten mit Punk klappte, woran das Outfit der Prater-Besucher allerdings wenig Erinnerungen weckt. Von äußerlich schrillen Gestalten keine Spur: Im Prater herrschte eher eine Art gediegene Klassentreffen-Atmosphäre mit überschwenglichen Wiedersehensbegrüßungen, klickenden Fotoapparaten und surrenden Videokameras. Immer wieder blätterten die Leute in einem Buch und versuchten, sich darin auf alten Fotos wiederzuentdeckten. „Wir wollen immer artig sein“ heißt das Buch und wurde an diesem Abend der Öffentlichkeit präsentiert. Das von Ronald Galenza und Heinz Havemeister herausgegebene 496-Seiten-Werk über Punk, New Wave, HipHop und die Independent-Szene in der DDR zwischen 1980 und 1990 ist die bisher ausführlichste Darstellung des musikalischen Underground im letzten Lebensjahrzehnt der DDR .
Diese Szene war einerseits sehr differenziert (neben dem Punk als bedeutenster Strömung gab es auch Blueser, Rapper und diverse übergreifende Performance-Projekte). Darum war der Versuch der Herausgeber, sie zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, fast schon einmal gescheitert und konnte erst in diesem Jahr zu Ende gebracht werden. Und zu einem geglückten Ende obendrein: Der Leser bekommt bekommt jede Menge Material über die unabhängigen DDR-Musikergeneration seit Ende der 70er-Jahre angeboten, zusammen mit einer anschaulichen Beschreibung der Existenzbedingungen der Szene inmitten einer ihr feindlich gesonnenen Gesellschaft. Eine Feindseligkeit, die insbesondere bei den Punks natürlich auf radikaler Gegenseitigkeit beruhte: So das Land, so der Punk.
Vor allem nach den Erfahrungen mit der Brutalität der sogenannten „staatlichen Organe“, die seit 1983 die Befehlsvorgabe von Stasichef Mielke – „Härte gegen Punk“ – überplanmäßig erfüllte. Die Punks waren nicht die einzigen, die dem Staat nicht mehr als Knetobjekt bei der Formarbeit am sozialistischen Menschen zur Verfügung stehen wollten. Aber sie mussten am meisten büßen. Im Buch erzählt Schleim-Keim-Sänger „Otze“ zum Beispiel von seiner Tournee durch die Knäste: Wenn Punks für die Obrigkeit die schlimmsten Störenfriede waren, dann waren die Punkmusiker die allerschlimmsten.
Von nachträglicher Verbitterung war in den Gesichtern beim Szenetreffen allerdings nichts zu erkennen. Man freute sich lieber noch einmal gründlich über die Verarsche der Ex-Staatsmacht. Auch beim kleinen offiziellen Programmteil wurde die Fahne der Ironie weiter tapfer hochgehalten. Soviel Selbstverständnis muss sein. Oder wie Szeneliterat Bert Papenfuß erklärte: „Der Blues muss bewaffnet sein“. Und Bescheidwisser Christoph Tannert, der einige Texte zum Buch beigesteuert hat, wies süffisant darauf hin: „Wer heute als Neuling in den Untergrund einsteigt, hat nichts mehr zu befürchten.“
Die, die damit nicht gemeint waren, saßen an einer Tischrunde vor der Bühne, darunter auch Bernd-Michael Lade. Früher spielte er in der Punkband Planlos und heute regelmäßig einen Bullen im „Tatort“. Natürlich wollte ein Fernsehteam wissen, wie er sich so fühle bei alten Freunden. Dem Promi war es sichtlich peinlich, aus dem Kumpelkreis gebeten zu werden und winkte ab. Später gab er doch ein kurzes Statement, vielleicht hilfts ja dem Buchverkauf. Immerhin steht da, was es tatsächlich auch gab in der DDR: Eine bunte, unangepasste Musikszene, die nach 89 größtenteils in der Versenkung verschwand. Die Blueslegende Freygang, verkündete ein Plakat, hat immerhin wieder eine neue CD gemacht: „Landunter“. „Wir wollen immer artig sein“, Ronald Galenza und Heinz Havemeister (Hg.). Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Berlin 1999. 39,80 DM
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