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„Die PDS ist eine ganz normale Partei“

■  Zum Ende der Legislaturperiode trafen sich der älteste und der jüngste Abgeordnete des Berliner Parlaments: Klaus Franke (CDU) scheidet nach 35 Jahren aus und empfiehlt seiner Partei ein entspannteres Verhältnis zu den Sozialisten. Benjamin Hoff (PDS) tritt erneut an, obwohl er eine Entpolitisierung des Parlaments beklagt und beruflich eine andere Perspektive sucht

taz: Herr Franke, wollten Sie schon in die Politik gehen, als Sie so alt waren wie Benjamin Hoff?

Klaus Franke: Das war 1946. Ich bin im September 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und war zuerst für die Amerikaner als Dolmetscher und Übersetzer tätig. Damals habe ich mich schon für Politik interessiert. Obwohl ich nur ein ganz junger Leutnant gewesen war, wurde mir aber von allen Parteien bedeutet, dass sie einen ehemaligen Offizier nicht haben wollten. Ich bin dann erst 1954 in die CDU eingetreten.

Was macht ein junger Abgeordneter anders als ein alter?

Franke: Als junger Abgeordneter will man die Welt verbessern. Man versucht zu viele Alleingänge, ohne sich in der Fraktion abzustimmen. Mit der Zeit lernt man auch, dass man Kontakte zu anderen Parteien suchen muss, wenn man erfolgreich sein will.

Wird man angepasster?

Benjamin Hoff: Es ist schon so, dass einem bestimmte Dinge nicht mehr so leicht über die Lippen kommen – einfach, weil man Schwierigkeiten kennt, von denen man vorher nichts wusste. Heute hätte ich nicht mehr die Hoffnung, man könne in einem Landesparlament wie dem Berliner Abgeordnetenhaus die Abschaffung der Schulnoten beschließen. Dass die Schulen in Berlin demokratisiert gehören, meine ich immer noch.

Wird man als neuer Abgeordneter sofort ernst genommen?

Hoff: Man merkt schnell, dass viele Vorhaben überhaupt nicht durchzusetzen sind, auch wenn sie richtig sind. Außerdem hat man irgendwann das Gefühl, dass man den Kontakt zur Basis verliert. Das betrifft linke Abgeordnete viel stärker als konservative, weil ihre außerparlamentarische Verbundenheit größer ist. Schließlich ist man völlig erschlagen vom vermeintlich größeren Wissen der älteren Abgeordneten – nicht so sehr vom Fachwissen, aber von ihrer Kenntnis der Strukturen: Sie haben einen viel besseren Zugang zu Informationen und zur Presse.

Warum geht man gleich nach dem Abitur ins Parlament?

Hoff: Das war in weiten Teilen einfach eine coole Idee. Andererseits hing die Entscheidung mit dem Fraktionskollegen Steffen Zillich zusammen, der vier Jahre vor mir als jüngster Abgeordneter eingezogen war. Den kenne ich seit 1989, noch aus der FDJ-Alternative Marxistische Jugendvereinigung. Natürlich sagt man als Landesschülersprecher dann auch: Ich will Interessen durchsetzen.

Herr Franke, eine ähnliche Frage könnte man auch Ihnen stellen. Die meisten Parlamentarier hören sehr viel früher auf als Sie. Warum haben Sie sich in einem Alter, in dem sich andere entspannt zurücklehnen, noch mit tagelangen Sitzungen gequält?

Franke: Es ist nicht nur eine Qual. Als Vorsitzender des Haushaltsausschusses hat man einen bevorzugten Zugang zu Informationen. Da legt sich ein Senator nicht so leicht mit einem an. Ich hatte immer Freude an der parlamentarischen Arbeit, auch in der Opposition. Ich habe einfach immer weitergemacht, zumal es lange keine Gegenkandidaten gab. Als die Wiedervereinigung kam, wollte ich das erste Gesamtberliner Parlament als Alterspräsident eröffnen. Das war der Höhepunkt meiner politischen Laufbahn.

Dann hätten Sie 1995 beruhigt ausscheiden können.

Franke: Damals versuchte man in der Steglitzer CDU, mich abzuschießen. Da habe ich gesagt: Wann ich aufhöre, bestimme ich immer noch alleine.

Würden Sie Herrn Hoff empfehlen, ebenfalls 35 Jahre lang im Parlament zu bleiben – also bis ins Jahr 2026? Soll man das wirklich so lange machen?

Franke: Darüber kann man diskutieren. Aber ein Abgeordneter mit langjähriger Erfahrung ist für eine Fraktion sehr nützlich, vor allem im Haushaltsausschuss. Ich hatte außerdem den Vorteil, dass ich als ehemaliger Senator beide Seiten kenne – die Verwaltung und das Parlament. Da kennt man die gegenseitigen Tricks, lässt sich von einem Senator nicht so leicht über den Tisch ziehen.

Herr Hoff, möchten Sie auch so lange in der Politik bleiben?

Hoff: In der Politik bestimmt. Politisches Handeln findet ja bekanntlich nicht nur im Parlament statt. Ich hoffe, dass ich nie so frustriert bin, dass ich sage: Ich höre auf politisch zu denken und zu handeln. Das geht wohl auch gar nicht mehr.

Und im Parlament?

Hoff: Ich kandidiere maßgeblich deshalb zum zweiten Mal, weil ich auf einen Regierungswechsel mit PDS-Tolerierung gehofft hatte. Dann hätten wir deutlich besser als bisher Politik gestalten können. Nun werden wir wohl linke Technologiepolitik aus Oppositionsperspektive machen.Darüber hinaus beende ich gerade mein Studium. Dann würde ich gerne promovieren und an der Hochschule arbeiten. Ich möchte auch außerhalb des Parlaments eine berufliche Perspektive haben.

Franke: Sehr gut.

Treten Sie in fünf Jahren noch einmal an, Herr Hoff?

Hoff: Ich will es eigentlich nicht. Aber wenn man das zu Beginn einer Legislaturperiode sagt, dann gilt man als Auslaufmodell. Dann wird man politisch nicht mehr ernst genommen.

Gibt es unter jüngeren Abgeordneten eine überparteiliche Zusammenarbeit, ähnlich der legendären „Pizza-Connection“?

Hoff: So etwas gibt es in Berlin nicht. Natürlich arbeite ich mit den jüngeren Wissenschaftsexperten der anderen Parteien zusammen – mit Monika Grütters von der CDU, mit Christian Gaebler von der SPD. Aber mit den zwei jüngsten Abgeordneten von der CDU habe ich überhaupt keinen Kontakt. Der eine hat in vier Jahren nicht ein einziges Mal im Parlament geredet, der andere hat gerade mal eine einzige Anfrage gestellt. Die beiden sind so unglaublich konservativ, dass es keinerlei Anknüpfungspunkte gibt. Das ist auch legitim. Man muss ja nicht nur deshalb, weil man jung ist, besser zusammenarbeiten als mit anderen Abgeordneten.

Herr Franke, hat die CDU zu wenige engagierte junge Leute?

Franke: Mir ist das Alter im Grunde egal. Ich wünsche mir mehr Engagement. Warum das bei manchen fehlt, kann ich nicht beurteilen. Ich finde, die Leute sollten öfter den Mund aufmachen. Dann werden sie auch von den anderen Parteien eher als Gesprächspartner akzeptiert.

Hoff: In den vergangenen Jahren hat ohnehin eine Entpolitisierung des Parlaments stattgefunden. Bei einer Großen Koalition verwischt sich die Grenze zwischen Parlament und Regierung. Da wird das Abgeordnetenhaus durch die Regierungsfraktionen zu einer Abnickmaschine des Senats.

Franke: Große Koalitionen sind bei Gott nicht das Wünschenswerte. Aber in Berlin hat sich's nicht anders gerechnet, und möglicherweise wird es beim nächsten Mal wieder so sein, weil aus Sicht der CDU weder die PDS noch die Grünen Koalitionspartner sein können. Das wird sich im Lauf der Zeit ändern. Die Grünen erneuern sich zur Zeit weniger. Aber die PDS wird durch die parlamentarische Arbeit, durch den Generationenwechsel ein liberaleres Weltbild bekommen. Sie wird nicht mehr in den alten Linien aus der DDR denken.

Verhält sich Ihre Partei gegenüber der PDS zu zurückhaltend?

Franke: Auch in der CDU müssen jüngere Leute nachwachsen, die nicht mehr die alte Frontstadtmentalität haben. Das ist ein Lernprozess. Schauen wir uns in Europa um: Da gibt es starke linke Kräfte, starke rechte Kräfte. Zum Teil sind sie an der Regierung, zum Teil nicht. Aber es funktioniert.

Wird dieser Lernprozess durch den Wahlkampf der Berliner CDU behindert, der die Westberliner PDS-Ängste mobilisiert?

Franke: Wir sind jetzt im Wahlkampf. Das nehme ich nicht furchtbar ernst. Eigentlich bräuchten wir das gar nicht zu machen. Wenn Momper wirklich mit der PDS eine Koalition bilden wollte, würde die Berliner SPD auseinander brechen. Das weiß doch jeder.

Ist die PDS eine ganz normale Partei geworden?

Franke: Sie ist nun einmal gewählt, also ist sie eine normale Partei – ob mir ihre Ideen gefallen oder nicht.

Gibt es in den übrigen Fraktionen zu wenige Abgeordnete aus dem Osten?

Franke: Ich wehre mich dagegen, dass immer noch zwischen Ost und West unterschieden wird. Ich kann mit Stolz sagen: Ich bin in Lichterfelde West groß geworden. Aber ich brauche nicht mehr zu sagen: Ich bin Westberliner.

Hoff: Unsere Fraktion ist überproportional mit Ostberlinern besetzt. Aber wir haben den Anspruch, eine Gesamtberliner Politik zu machen. Bei mir selbst steht der Kindheit in der DDR die politische West-Sozialisation der Jugend gegenüber. Ich hoffe, dass sich das ergänzt. Mir steht ein freiheitliches System, in dem ich sozialistische Politik machen kann, heute näher als ein System, in dem ich wahrscheinlich irgendwann, hoffe ich, an Bruchpunkten politische Schwierigkeiten gehabt hätte.

Franke: Das ist für uns ja auch immer die Frage: Wie hätte ich mich eigentlich verhalten, wenn ich nach dem Krieg nach Ostberlin gekommen wäre? Ich bin damals auch zu einer Parteiversammlung der KPD gegangen – obwohl ich dort mit meiner bürgerlichen Erziehung nie eingetreten wäre. Ich bin dann bei der CDU gelandet, weil in der Nachbarschaft eines der Gründungsmitglieder der Berliner CDU wohnte: Müller-Schoenau. Sein Sohn sitzt heute für die Grünen im Parlament.

Bald jährt sich der 9. November 1989 zum 10. Mal. Wie haben Sie die Maueröffnung erlebt?

Hoff: Ich war auf dem Weg vom Training nach Hause. Eine Sackgasse, die sonst menschenleer war, war voller Menschen. Es war für mich komplett unverständlich, was da passierte. Ich konnte leider nicht nachschauen, weil ich schon eine Stunde zu spät war. Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, waren nur zwei Mitschüler da. Im Nachhinein betrachtet, ist der 9. November das Ende meiner Kindheit. Was 13 Jahre Gültigkeit hatte, war plötzlich weg.

Franke: Ich saß zu Hause vor dem Fernseher und bin gleich zur Mauer gefahren. Jemand wie ich, der die ganze Nachkriegszeit in Berlin erlebt hat, konnte tagelang nur sagen: Das kann doch eigentlich gar nicht wahr sein! Ich hatte zwar immer an die Wiedervereinigung geglaubt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich sie noch erlebe. Es mag albern klingen: Es ist für mich noch heute ein tolles Gefühl, wenn ich durchs Brandenburger Tor fahre. Interview: Ralph Bollmann, Andreas Spannbauer

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