: „Arbeit, Leistung, Glück“ mit Freinet
■ Symposion der Reform-Pädagogen an der Bremer Universiät / Schüler lernen nur, wenn sie sich interessieren, sagen die Anhänger der Freinet-Pädagogen, die auf selbstbestimmtes Lernen setzen
„Frontalunterricht verschleißt den Lehrer“, sagt der Lehrer Klaus Glorian, und diese Erkenntnis war für ihn der Anlass, sich mit anderen pädagogisschen Konzepten zu befassen. Seit einigen Jahren ist er überzeugter Anhänger der „Freinet“-Pädagogik, deren Bundesverband in diesen Tagen an der Bremer Universität ein „Internationales Symposion“ abhält. Motto der Tagung ist „Arbeit, Leistung, Glück“ , und das ist nicht nur eine provokative Anspielung auf das „Arbeit, Leistung, Ordnung, Pflicht“ des Arbeitsdienstes der Nazis.
„Arbeit, Leistung, Glück“ ist für die Anhänger der Freinet-Pädagogik vor allem eine Provokation, weil das Wort Leistung in der Mitte steht. „Glück“ soll nach den Vorstellungen des französischen Pädagogen Célestin Freinet (1896-1966) das Ziel auch der Arbeit des Menschen sein, aber „Leistung“?
Der Tagesablauf in der Schule steht nicht mit dem Klingelzeichen und dem Stundenplan fest, sondern wird im „Morgenkreis“ besprochen. „Projekte“ stehen im Mittelpunkt. Die Themen, mit denen sich Schülergruppen befassen, sind selbstgewählt, die SchülerInnen „präsentieren“ ihre Ergebnisse, vermitteln sie dadurch den anderen in der Klasse und zeigen den anderen ihre Leistungen. „Diese Form weitgehend selbstbestimmten Lernens gibt starken Schülern einen Push“, hat der Bremer Uni-Lehrer Reiner Ubbelohde an der Gesamtschule Mitte beobachtet. Und schwache Schüler, die einmal eine „Auszeit“ brauchen, können sich diese nehmen und dann einen „neuen Zugang zum Lernen entwickeln“.
Freinet hat einmal die ironische Frage gestellt, wie Kinder nach den Methoden der klassischen Schule Fahrrad fahren lernen würden. Der Lehrer würde etwas von der Funktionsweise des Rades erklären und vielleicht an einer Waage das Gleichgewicht erklären, womöglich gäbe es am Ende einen schriftlichen Test – aber Fahrrad fahren könnte hinterher niemand.
Freinet war Dorfschullehrer in Südfrankreich. Im Unterschied zu dem Begründer der Waldorf-Pädagogik, der in derselben Zeit in Deutschland lebte und ein fest gefügtes System von philosophischen und pädagogischen Wahrheiten entwickelte, war Freinet „Pragmatiker“; er wollte den Bauern helfen, sich selbst in Genossenschaften zu organisieren und in der Schule „den Kindern das Wort geben“, damit sie lernen, sich im Leben auseinander zusetzen. Seine „Lehre“ klingt schlicht, und es ist um so erstaunlicher, wie wenig davon in der heutigen Regelschule als „normal“ anzusehen ist. „Besteht nicht die Grundbedingung für erfolgreichen Unterricht darin, dass sich die Schüler dafür interessieren?“ fragt Freinet. „Wir geben dem Wort Interesse eine umfassende Bedeutung. Wir bezeichnen es nicht als Interesse, wenn das Kind sich vage von Textillustrationen oder von Texten mit vielversprechenden Titeln angesprochen fühlt. Interesse muß in Handlungen umgesetzt werden, Leben schaffen, vom Menschen selbst ausgehen. Dieses Interesse können uns Lehrbücher nie vermitteln...“
Das Leben in die Schule zurück holen war deshalb eines der pädagogischen Prinzipien Freinets, oder umgekehrt den Lernort nach draußen zu verlegen. Nicht das für alle verbindlich festgelegte Curriculum bestimmt den Fortgang des individuellen Lernens, sondern der „Wissensdurst des Kindes“. Was im Frontalunterricht des Lehrers vorgetragen wurde, wird meist schnell wieder vergessen, sagt Lehrer Glorian. Was die Kinder erarbeitet und den anderen in der Klasse präsentiert haben, vergessen sie so schnell nicht wieder.
An die 200 Lehrer haben sich zu dem Symposium an der Bremer Universität angemeldet, und sie werden fünf Tage lang vor allem selbst in „Langzeitgruppen“ die pädagogischen Prinzipien des Célestin Frenet für sich ausprobieren. So gibt es eine „Computerwerkstatt“, eine Druckwerkstatt, eine „Mathewerkstatt“. Eine der zahlreichen Arbeitsgruppen wird sich unter dem Motto „Himmel über Bremen“ durch die Hansestadt bewegen. K.W
Nachmittags ist das Symposium zur Freinet-Pädagogik offen für neugierige Gäste – jeweils ab 15 Uhr in dem „Seminar- und Forschungsgebäude“ (SFG) der Universität geht es am Donnerstag um Rechtschreibdidaktik und mit Johannes Beck um „die Kunst, sich unentbehrlich zu machen“. Am Freitag sind Vorträge mit Professorin Ute Andresen und Professor Reiner Ubbelohde zur Freinet-Pädagogik angekündigt.
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