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Eine Kopfnutz in Gold

Adolf Endler passt in keine Form. Das Irrlicht der DDR-Literatur wird jetzt mit einer Gesamtausgabe geehrt  ■   Von Frauke Meyer-Gosau

Bei André Breton hat sich der Diplomdichter bedient, sein ironischer Hausgott ist Breton bis heute geblieben

Es soll sich in Bückeburg zugetragen haben, im Jahre 1982. „Siebenundfünfzig, nein sechsundfünfzig, nein, fünfundfünfzig Dichter, Top-Hyänen der Poesie allesamt“ sah der Chronist versammelt. Aus Ost und West waren sie denkwürdig vereinigt zum Internationalen Bückeburger Sonettenwettstreit (IBS) und dementsprechend emsig befasst mit der Herstellung des „Neuen Bückeburger Doppelsonetts plus gesteuertem Satzzeichenschwund“ bzw. eines „Reißverschlusssonettkranzes mit dem lustigen Paternostereffekt“. Und wurden dann ganz unvermutet einer Himmelserscheinung ansichtig, die sich gerade ihnen gerade zu diesem Zeitpunkt kaum zufällig gezeigt haben konnte. Denn wie lautete das Wettbewerbsthema in der AG Sonettenkränze? „DER PUDDING DER APOKALYPSE“!

Und da kam er nun selbst, kuhfladenbreit die Sonne überlagernd, mit „blubberndem Gewatschel“, und dräute schön schrecklich vom Himmelszelt. „Aufsteigend im Niedersinken, sich verfestigend im Zerfließen! Zweifelsohne – er ist es, der letzte Pudding der Menschheit!“, rief da ein Dichter aus. Und gleich war schon fast vergessen, dass eben noch die „Geheimdienstler“ unter den Sonettproduzenten an einem infamen „Pudding des Grauens“ gearbeitet hatten. Ja, vergessen war bald schon alles, was einmal für wesentlich gegolten hatte. Nun gab es nur noch eins: „Wer Pudding sagt – der sagt auch Galaxis!“

Genau so ist es. Und ist seit neuestem nun auch empirisch nachweisbar, denn soeben erlebt das wabbelnde Himmelszeichen seine zweite Erscheinung – in Buchform diesmal! Und ist damit nun nicht länger „von der Hand mehr zu weisen, von keinem! Von niemandem! Von keinem!“ Dies hatte einst der Chronist der Bückeburger Süßspeisen-Epiphanie, Adolf Endler, triumphierend notiert, und niemand anders als Endler kann es daher auch sein, dem „DER PUDDING DER APOKALYPSE“ seine neueste Rematerialisierung verdankt: Endler-Gedichte aus den Jahren 1963 bis 1998 haben sich unter diesem Titel versammelt, einhundertsechsundvierzig an der Zahl, und naturgemäß entstammen sie den beiden Politgalaxien (Pudding und Milchstraße, der Zusammenhang ist doch augenfällig!), in denen der Meister als literarisch-politischer Irrstern nun seit fast sieben Jahrzehnten scheinbar unermüdlich unterwegs gewesen ist. 1955 nämlich hatte Junggenosse E., dem im Düsseldorfer Raum eine Anklage wegen Staatsgefährdung drohte (er hatte zur Teilnahme an den bolschewistischen Weltjugendfestspielen aufgerufen), die BRD in Richtung DDR verlassen. Am Leipziger Johannes-R.-Becher-Institut wurde er darauf zum Dichter ausgebildet, veröffentlichte 1960 ein erstes Lyrikbändchen mit dem lieben Titel „Erwacht ohne Furcht“, dem ein zeitgemäß mobilisierendes Agitprop- werk für acht Stimmen, „Wische. Bauplatz der Jugend“, folgte.

Nach den schon nicht mehr ganz so fortschrittsseligen „Kindern der Nibelungen“ von 1964 war's dann allerdings mit dem Publizieren eigener Gedichte für Diplomdichter Endler auch schon wieder vorbei. Was von seinen Versen bis 1989 überhaupt noch gedruckt werden konnte, war mal so dies, mal das, mit Kompromissen hier und Zugeständnissen da: mal Schubladengedichte nach dem VIII. Parteitag der SED – 1974 erschien in der DDR „Das Sandkorn“, ein Jahr später im Westen „Nackt mit Brille“. Dann Jahre nach der Biermann-Ausbürgerung der Sammelband „Verwirrte klare Botschaften“ in der BRD, in der DDR 1981 die „Akte Endler“. Und wieder Schluss. DDR-Literaturkritik und -wissenschaft nahmen offiziell vorsichtshalber lieber mal gar nichts davon zur Kenntnis: Hätte ja doch wohl anstecken können, der Mann, mit diesen Texten. Und immerhin bis 1980 brauchte es, bis ein offensichtlich wissenschaftlich gebildeter Stasi-IM das 13 Jahre alte Gedicht „Das Sandkorn“ nebst Autor entlarvte: „Endlers umfassende feindliche Stellungnahme in Lyrikform.“

Der „Pudding der Apokalypse“, der nun rund 20 Jahre nach diesen Bänden erscheint, ist die erste Gesamtausgabe von Adolf Endlers Gedichten überhaupt – nach 40 Jahren nicht nachlassender Dichtungsarbeit immerhin und hart verdientem Geheimruhm. Was bisher „auf Grund allerdings politischer Umstände“ unsichtbar bleiben musste, der „Pudding“ macht es – endlich! – lesbar. Und lässt zugleich im Dunkel der literarischen Frühgeschichte, was man in der Aufbau-DDR noch hatte lesen können.

„Endlich einmal 'repräsentativ‘“, schreibt Endler jetzt in seiner „Erklärenden Notiz“, habe er seine Lyrik vorstellen wollen. Einer solchen Repräsentation seien die „knäbischen Agitpropgedichte“ aus „im wesentlichen ästhetischen Gründen“ nicht würdig. Und so ist hier nun keine einzige „Bau auf!“-Rosine aus Endlers ersten Bänden zu finden, sogar Einzelnes aus den siebziger Jahren, früher in „Akte Endler“ gedruckt, musste draußen bleiben. Fängt er da nicht doch ungut zu wackeln an, der repräsentative Pudding? Wird er nicht apokalyptischerweise durchsichtig? Schmeckt Geschmacksverstärker durch, veredelnde Stoffe? Nein, überhaupt nicht. „Schlatzen Sie mir, bittescheen, einen weiteren Schlockerschlüh, jetzt mit vierfacher Wulpe!“

Wenn der zwischen allen Spuren der Nachkriegs- und Gegenwartslyrik immer zielstrebig vorwärts torkelnde Ex-Agitpropper Adolf „Eddi“ Endler selbst fast zehn Jahre nach der Wende noch derart selbstverständlich festhält an seiner Ex-DDR-Spezialsprache, wenn er derart nämlich noch immer nur sich selber singt und auch nebenbei mal schamlos heinermüllermäßig sich und seine Zeit befragt („'Ich ist ein anderer ...‘; Karl May, Karl Mickel?“) – dann, ja dann ist eben auch der frühere sozialistische Aufbau-Rapper nach seinem 63er Bruch mit der herrschenden Vorwärts-aufwärts-Rhetorik keineswegs verschwunden. Nur wird er hier anders sichtbar. „Bravo Anna und Friedemann Bärlapp aus Bischofswerda den gnadenlosen Züchtern des phantasmagorischen Abstützbeschleunigers wie früher bereits des inzwischen zur Weltspitze zählenden eckenreichen Bürovorsteher-Kampfmantels mit der Schmuckleiste zwischen den Schulterblättern einem spitzen WERWEN Ja Bravo den Bärlapps und den obligatorischen Klatschmohn ins Haus (Klatschmarsch).“

Adolf Endler, einst „Erfinder des Klebestreifengangs vom Grenzwerthund“ und zweifelsfrei „Träger einer Kopfnutz in Gold“, bekennt im Nachwort zu seinem „Pudding“-Band, in den späten Siebzigern „mit der Gefahr des Absturzes ins Irre-Sein wohl nicht nur kokettiert“ zu haben – die „Hefte des Irren Fürsten“, deren abschließende Eintragung aus dem Jahr 1997 stammt, belegen die Wahrheit dieser Vermutung. Bei André Breton hat er sich seither inspiratorisch bedient und belehren lassen, sein ironisch geliebter Hausgott ist Breton bis heute geblieben.

Doch gab es da auch 1971 schon ein Gedicht mit dem Titel „Dies Sirren“, das zeigte, dass bei dem unbestellt übergelaufenen West-„Eddi“ Wahrnehmung und Dichtkunst in anderen Bahnen liefen, als es der Sozialistische Realismus sich hätte träumen lassen mögen: „Und wieder dies Sirren am Abend. Es gilt ihnen scheint es für Singen / Ich boxe den Fensterladen auf und rufe He lasst mich nicht raten / Ihr seid es Liliputaner das greise Zwergenpaar van der Klompen / Cui bono ihr lieben Alterchen mit der Zirpstimm im Dunkel cui bono“. Mit der „Zirpstimm im Dunkel“, seinem unpraktischerweise „gebrochenen Gefühl“ und dem daraus unvermeidlich folgenden „Grillengrasgebell“ hat Adolf Endler die DDR-Welt auf eine Weise angesehen und beschrieben, die deren Oberen und ihren (West- wie Ost-)Anhängseln ein ganz besonders grausiger Graus sein musste (und allen anderen eine klammheimliche Wonne): Wovon da die Rede war, blieb jenen einfach unverständlich und musste auf jeden Fall „feindlich negativ“ sein.

Der sozialistische Aufbau-Rapper hält auch nach der Wende noch fest an seiner DDR-Spezialsprache

Da half es natürlich nichts, wenn Endler im Gedicht „Ichkannixdafür“ scheinheilig begründete, er sei weiland, und zwar noch im Westen!, auf einem „gestohlenen Laster von der Laderampe gefallen, und zwar mit der Birne nach vorn, und das mit Karacho /Seit diesem Moment bin ich Lyriker, Mademoiselle!“ Und erst recht half so was natürlich überhaupt nichts gegen das „Geständnis“, sein Messer sei „zusammenklappbar wie DreiViertel dieses strikt lebensfroh lachen- den / Lands nach NeunzehnUhrfünfzig“. Mit diesem Mann war einfach kein Staat zu machen.

Aber nun ist, seit zehn Jahren schon, doch alles ganz anders geworden. Hat sich da denn gar nichts geändert beim Herrn Endler oder auch nur in der apokalyptischen Zusammensetzung seines „Puddings“? „Still geworden ist es um ihn den einstmals fast stadtbekannten / Curry-Wurst-Züchter Konnopke, still um den seiner / zeit vielprämierten Bockwurst-Halter Eddi 'Pferdefuß‘ Endler“, barmte hinterhältig ein Text vier Jahre nach der Wende. Und „bis heute kein einziger Seepapagei in meinen vielen Gedichten / Auch dem Sabberlatz nicht das ärmste Denkmal gesetzt in Vers oder Prosa / So wenig wie der Elbe-Schiffahrt oder der Karpfenernte bei Peitz“, klagte ein anderer von 1997.

Auch der literarisch so viel befahrene, nun auch noch wieder vereinigte Eddi E. also: eine beleidigte DDR-Leberwurst? Ach was! „Alle Ihr hochgezwitscherten Nullen (spricht er), ob vor oder hinter dem Komma, möget Spalier bilden für den Größeren, welcher sich sinngemäß aus dem einen EffEff in das andere oder wahlweise quer durchs Gemüsebeet (spricht er) ins sogenannte Blaue verpfeift ... Dem Humpumpelnden eine Gasse!“ Was 1984 in seinem „Chanson Zwo“ galt, gilt doch immer noch: Endlers „Pudding der Apokalypse“, ob nun bundesdeutsch glatt schwarzrotgold oder auch maßvoll von Hammer und Zirkel gerahmt, diese himmlische Texterscheinung glüht doch alleweil noch in den schillerndsten Farben. Adolf Endler: „Der Pudding der Apokalypse. Gedichte 1963 bis 1998“. Suhrkamp 1999, 180 Seiten, 36 DM

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