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Im wilden Jemen

Einhundertundfünfzig Entführungen in den letzten acht Jahren – ist der Jemen ein Reiseland?    ■ Von Hella Schlumberger

Seyhun im Wadi Hadramaut, eine Flugstunde von Sanaa entfernt: Eben hatte die untergehende Sonne die Gebirgskette zum Erglühen gebracht, die Hotelangestellten ihr Gebet gen Westen (wieso nicht gen Norden, wo doch Mekka liegt?) verrichtet, als Sterne den Himmel überziehen, viele, nahe und glänzende.

Glücksgefühle bei Becks Alkoholfreiem, zumal Kellner Ahmed unbedingt etwas aus dem Koran über die Königin von Saba vorlesen muss. Allah hätte den Staudamm von Marib zum Einstürzen gebracht, weil die Sabäer nicht mehr so richtig geglaubt hätten. Und, erzählt Ahmed, die Bilkis – im Alten Testament trägt die Königin von Saba keinen Namen – habe ein behaartes Bein gehabt, weil sie irgendwie von Dschinnen, bösen Geistern, abstamme, über die jedoch König Salomon (Ahmed sagt „Suleiman“) gebieten konnte. Sie habe ihn besucht, ja, und ihm Rätsel aufgegeben, die er aber alle habe lösen können. Einen gemeinsamen Sohn hätten sie auch gehabt, und durch Suleiman sei die Königin von Saba zum Islam übergetreten. Hatte König Salomon nicht im ersten Jahrtausend vor Christus gelebt, der Dammbruch um 570 nach Christus stattgefunden und war die Königin, bisher jedenfalls, historisch noch überhaupt nicht bewiesen? Egal, im Jemen kreuzen sich Geschichte, Märchen und Legenden.

Als einziger Gast im Bungalowhotel der jemenitischen Reiseagentur Yata in Seyhun, leicht vergammelt, aber mit berückender Sicht in den Wadi Hadramaut, ist frau jedenfalls Königin. Es wird gekocht (und auch eingekauft), was du dir wünscht, der Pool gehört nur dir, du hast Toyota, Fahrer und Guide zur Verfügung.

Fahrten nach Schibam, dem „Manhattan der Wüste“, wie es auf dem 50-Rial-Schein (60 Pfennig) abgebildet ist, in den Wadi Do'an mit seinen Lehmburgendörfern, in die Gelehrtenstadt Tarim mit dem höchsten Minarett des Landes und den Protzpalästen aus Indonesien heimgekehrter Jemeniten, nach Aynat, wo gegenüber vom Friedhof die letzten Steinbockhörner vom einstigen Kulttier künden. Überall, und nicht nur im Wadi Hadramaut, gähnende Leere oder ein paar versprengte Gäste.

Außer es wäre ein Kreuzfahrtschiff angekommen in Mukalla, Aden oder Hodeida, und die Kreuzfahrer hätten Landurlaub genommen: 72 Stunden dürfen sie den Jemen bereisen ohne Visum. Dann sieht es in den „Kaffterias“ und „Resturans“ aus, als sei alles normal mit den „Torusit“. Als sei der Tourismus nicht von 100.000 auf 10.000 zurückgegangen. Diese Entwicklung hat Arabiens bevölkerungsstärkstes, dabei aber ärmstes und geschichtsträchtigstes Land hart getroffen.

Angefangen hatte es mit dem Krieg um Kuwait, der Jemen hatte eine innerarabische Lösung gefordert, das Volk offen mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein sympathisiert. Das gefiel den USA und Saudi-Arabien nicht: Entwicklungsgelder wurden gestrichen, „Gastarbeiter“ heimgeschickt, das Fehlen der Überweisungen machte sich empfindlich bemerkbar. Dann sanken die Ölpreise in den Keller. Und jetzt blieben noch die Touristen weg!

Natürlich waren die Entführungen schuld, 150 sollen es in den letzten acht Jahren gewesen sein. Aber vor allem die Entführung im vergangenen Dezember, bei der es vier Tote gegeben hatte, verschreckte auch die glühendsten Jemenfans. Obwohl inzwischen klar ist, dass dies keine der „normalen“ Entführungen war, wo Stämme ihren Wünschen an Regierung und Ölgesellschaften handfest Druck verliehen, sondern eine aus London gesteuerte fundamentalistische, um den Jemen zu destabilisieren. Und obwohl inzwischen Todesurteile ausgesprochen wurden. Egal. Das wurde dem Jemen übel genommen.

Heuer würden sie den zweiten Jahrestag ihrer Entführung im Jemen begehen, erzählte mir einer der entführten Motorradfahrer später in München, und noch immer würden sie die Araber hassen ob der Todesangst, die sie hätten ausstehen müssen. „Aber warum haben sie die 300 Dollar nicht gezahlt, die der Stamm verlangt hatte für die Erlaubnis, durch ihr Gebiet zu fahren?“, fragt man sich im Jemen erstaunt. Außerhalb Sanaas herrsche Stammesrecht, und da müsse man sich voll auf die Auskünfte der Agenturen verlassen. Außer man wolle entführt werden, auch dazu gäbe es Anfragen, vor allem aus Frankreich.

Bei einer der nachmittäglichen Khatrunden, dem jemenitischen Aufputschmittel, das die Augen glänzend und die Haut feucht-kühl werden lässt, im Mafradsch eines früheren Sultanspalastes mit Blick über Sanaa, erzählen Fahrer und Guides über ihre Erfahrungen mit Kidnapping: Wie Guide Mohamed „seine“ Touristen rettete, indem er den Stammeskriegern, die sie bereits angehalten hatten (manche Entführungen werden auch vereitelt, indem die Fahrer einfach nicht anhalten), erzählte, die Gruppe sei krank, und es sei nicht ausgeschlossen, dass einer sterben müsse. Da ließen sie sie weiterfahren.

Oder der Chinese vom Straßenbau, der entführt worden war, für dessen Befreiung sich aber China nicht eingesetzt hatte und der deshalb wieder gehen durfte. Seither heißt es: Keine Russen, keine Chinesen! Das bringt nichts. Deutsche ja, Amerikaner und Engländer sowieso.

Oder der Kanadier, der seinem Entführerstamm klar machte, dass er eine Krankheit habe, die nur mit Alkohol eingedämmt werden könnte, was den Stamm veranlasste, ihm Whiskey aus Aden zu besorgen. Nie mehr einen Kanadier, hatten sie danach entschieden, der kommt zu teuer!

Derartige Geschichten belacht man gern bei den Empfängen der Deutschen in Sanaa: Villen in jemenitischem Stil mit bunten Oberlicht-Glasfenstern, Gärten, manchmal auch Pools mit Personal und Wächtern. 1999 hatten die Deutschen Grund zu feiern: 30 Jahre diplomatische Beziehungen und Entwicklungshilfe Deutschland – Jemen; 20 Jahre wirkte der Deutsche Entwicklungsdienst schon im Land; eben gerade ihr Büro in Sanaa aufgemacht hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD). Deutsche haben im Jemen Straßen gebaut und sanieren zwei Weltkulturerbe: die Altstadt von Sanaa und Schibam im Hadramaut. Dorthin ist es eine Stunde Fahrt im Toyota von Seyhun durch kilometerlange Palmengärten.

Die Jemeniten, ein Volk der Freien, wovon die Djambia, der Krummdolch, im Gürtel kündet; der bis auf die Augen verschleierten Frauen, die – obwohl auf dem Papier gleichberechtigt – gerade einmal zwei der 301 Abgeordneten stellen, und der bettelnden Kinder in orientalischer Traumkulisse aus Bergen, Lehmburgen und Terrassenfeldern, die Plastikberge vor und in den Orten nicht zu vergessen. Ein Land auf dem Sprung vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert.

Marib, zwei Autostunden von Sanaa entfernt, die Hauptstadt, wenn schon nicht der Königin von Saba, dann wenigstens des Sabäerreiches, dessen Niedergang anno 570 durch den Bruch des großen Staudammes, der 10.000 Hektar Land bewässerte, endgültig besiegelt wurde, liegt im Grenzland dreier Stämme. Was für Burkhard Vogt, den Archäologen und Chef des Deutschen Archäologischen Instituts in Sanaa, die Ausgrabungen in Marib nicht einfach macht. „Natürlich gehören auch unsere Arbeiter zu Stämmen, die bisweilen Fremde entführen, natürlich gibt es immer wieder Streit und Streiks“, aber trotzdem könne er sich nach elf Jahren weitere 20 im Jemen gut vorstellen. In Marib graben Deutsche und Amerikaner. Der Bereich des Almaqa-Mondtempels mit seinen fünfeinhalb über acht Meter hohen Pfeilern aus dem 5. Jahrhundert vor Christus ist genauso eingezäunt wie eine Totenstadt für 20.000 bis 30.000 Tote aus dem 8. oder 9. Jahrhundert vor Christus. Beide werden sie Tag und Nacht bewacht.

Die Einwohner des modernen Marib, das alte liegt auf einem Hügel und ist verlassen, nehmen die soliden Steine der Reste der früheren Staudämme, der älteste wohl an die 4.000 Jahre alt, gern her, um neue Häuser zu bauen. Oder sie schießen auf Säulen und Mauern, einfach so, um ihre Treffsicherheit zu beweisen. Oder sie graben selber, finden Tonschälchen, Steinsiegel, Alabasterköpfe und verkloppen sie an Touristen, obwohl die Ausfuhr streng untersagt ist. Es sei ihr Land, meinen die Stämme, indem sie die Archäologen gerade einmal so dulden.

Auf dem Weg zum neuen Staudamm stehen übergroß die Porträts zweier Herren an einem Berg: Ali Abdullah Salah, der Präsident und Scheich Zayed Nahyan. Er, der Scheich, hatte einen Traum: Die Königin von Saba war ihm erschienen und hatte ihm als ihrem Nachfahren aufgetragen, einen neuen Staudamm zu bauen. Dieser neue ist weit entfernt von der Raffinesse der Vorgänger, die das Regenwasser aufgefangen und gleich wieder verteilt hatten, er staut nur. Aber weil das Wasser versickert, erhöht sich der Grundwasserspiegel in dieser künstlichen Oase und die Bauern – 70 Prozent der Jemeniten leben von der Landwirtschaft – können so leichter ihre Felder bewässern. Ein Drittel der früher kultivierten Fläche ist wieder nutzbar – dank des Traums eines Scheichs aus Abu Dhabi.

So gehen im Jemen Geschichte und Geschichten ineinander über, ob im trocknen Wadi Hadramaut, der feuchten Tihama am Roten Meer oder dem zerklüfteten, burgengekrönten zentralen Bergland um Sanaa: gänzlich verschiedene Länder, seit 1990 geeint.

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