: The real Shit
■ Malochen und Säcke schleppen: Die Zeise-Reihe „Hamburg Historisch“ zeigt die Arbeit im Hamburger Hafen vor dem vollautomatischen Containerbetrieb
Mediale Vermarktungsmaschen für den Hafen exis-tieren zur Genüge: von Freddy Quinn bis Buddy Holly, von Hafenrandbebauung bis Windjammerparade – die Romantik der großen weiten Welt und die weichen Knie bei Seekadetten in schmucken Uniformen gibt es als kostenlose Beigabe dazu. Die Funktion, die der Hafen als Waren-Umschlagplatz hatte und immer noch hat, gerät, da die riesigen Container-Umschlagplätze beinahe unsichtbar für den NormalHamburger im Innenhafen liegen, nur zu gerne in Vergessenheit. Was bleibt, sind Shanties und Fischbrötchen – Folklore also. Doch bis in die 60er Jahre war die Tätigkeit im Hafen noch, auch ohne romantisierende Vorstellungen von zwar geschundenen, doch unentfremdeten Arbeits-Körpern, the real shit.
Hierzu präsentiert das Landesmedienzentrum im Zeise-Kino ein Filmprogramm mit dokumentarischen Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren. Auch wenn der romantisierende Blick auf alte Kräne und schrottreife Seelenverkäufer damals noch nicht existierte, so erzeugen auch diese sechs kurzen Dokumentationen ihre eigenen Legenden. Alles passt hier noch ins hierarchische Gleichgewicht und Kommunikation findet kaufmannsgemäß nur unter Gleichgestellten statt: Da thront der Schuppen-Vorsteher hinter seinem Schreibtisch und verkündet dem Importeur in gestelztem Hanseatisch, dass der Kaffee eingetroffen sei, da empfängt der Kapitän den Hafenlotsen in der Teakholz-Kabine mit einem Drink, da schlafen die einfachen Arbeiter in der Pause einträchtig erschöpft über ihren Stullen ein. Wer einen Streifen an der Mütze hat, gibt Befehle, die anderen müssen malochen und Säcke schleppen.
Darüberhinaus kann man sich natürlich an den üblichen Hamburgensien delektieren: Morgendlicher Stoßverkehr auf der Elbe, den es heute höchstens noch zum Hafengeburtstag gibt, Werften, die inzwischen bunten Musicalzelten gewichen sind, und futuristisch anmutenden Maschinenräume, gegen die selbst die Ausstattung von Raumpatrouille Orion bieder wirkt. Von der Form der Filme gibt es zwei Muster: Der kaleidoskopartige, große Bogen versucht möglichst viele Facetten zu vereinigen, so Hafen-Rhythmus (1960), der nach Art der Großstadt-Sinfonien der großstädtischen Bewegung Ausdruck verleiht, und die detaillierte Darstellung eines einzelnen Bereichs, etwa Abfahrt 19 Uhr (1955) über die letzten 30 Minuten vor dem Auslaufen eines Frachters oder Artisten des Hafens (1955) über die Tätigkeit von Schleppern. Dass Portraits einzelner Arbeiter oder Erkundungen über die Selbst-Organisation der Arbeiter in diesen Filmen nicht vorkommen, ist sicher kein Zufall. Der Hafen und die Arbeit geben den Takt vor – werden abends im Radio zusätzliche Arbeitskräfte verlangt, stehen die Tanzbeine still, denn Arbeitsbeginn ist vor 6 Uhr morgens.
In den nächsten Monaten (jeden ersten Sonntag im Monat) wird die Reihe fortgesetzt und veranschaulicht so, wie stark sich die Arbeit im Hafen bis zu den vollautomatischen Container-Verschiebestationen der 80er und 90er Jahre verändert hat. Malte Hagener
So, 3. Oktober, 11 Uhr, Zeise 1
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