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Biber in den Tiefen des Elbreviers

Mit dem Schlauchboot, dem Fahrrad und zu Fuß entlang den Elbauen auf der Pirsch nach den Nagern. Eine Reise mit Bett im Heu und dem Naturschutzbund Nabu    ■ Von Gunda Schwantje

Still sein und unauffällig, heißt hier die Faustregel. Doch daraus wird nichts. Unter den zweiundzwanzig Schuhsohlen knirscht laut Schotter, lärmend erreicht der Trupp das Ufer. Wir spähen in die Dämmerung hinaus, hinein in das trübe Wasser des Elbe-Altarms, hinüber zur Burg. Die Burgbewohner, sechs sollen es sein und allesamt nachts aktiv, pflegen hier regelmäßig Hof zu halten. Sommers gegen 22 Uhr, behaupten Szenekenner. Unruhiges Warten. Irgendwann ein leiser Ruf in das Gemurmel hinein: „Da drüben.“ Im Wasser ist schemenhaft eine Kontur zu erkennen, Fragmente eines Nagetiers, das sofort wieder verschwindet. Mit einem harten Schlag aufs Wasser, was so viel heißen soll wie „Achtung, Störer“ und die Mitbewohner alarmiert, versenkt sich der Biber in die Tiefen seines Reviers.

„Wo die Biber Burgen bauen“ ist das Motto unserer dreitägigen Landpartie und Flußfahrt ins Biosphärenreservat „Flußlandschaft Elbe“ bei Buch, Sachsen-Anhalt. Zu Fuß, per Rad, im Schlauchboot und unter kundiger Leitung reisen wir auf den Spuren der Elbebiber. Der Naturschutzbund Deutschland, Nabu, organisiert die Tour. Rainer Gunia, 33, vor zwei Jahren aus Marburg in die Altmark gezogen, Biologe und einer unserer Reiseleiter, stapft durchs Unterholz und zeigt auf einen kegelförmig benagten Baumstumpf. „Das ist das Werk eines Bibers“, sagt er. „Die Weide ist frisch gefällt.“ Aus dem dicht mit Weiden bestandenen Auenwald, einem optimalen Biotop für die scheuen Tiere, führt eine noch feuchte Schleifspur steil die Böschung hinunter. Dort ist er mit seiner Fracht hinabgesaust.

„Biber sind reine Vegetarier“, erzählt Rainer Gunia, „im Sommer stehen Wasser- und Uferpflanzen und frisches Laub ganz oben auf der Speisekarte, im Winter die Rinde von Weiden und Pappeln.“ Etwa 120 Zentimeter werden die putzigen Nager lang und wären fast ausgerottet worden wegen des feinen, kostbaren Pelzes, den sie tragen, und weil der Mensch Biber gerne aß als Fastenspeise. Die Tiere wurden so intensiv gejagt, dass zur Jahrhundertwende in Deutschland alle getötet waren bis auf etwa 200. Die Überlebenden hockten konzentriert in den Stromtalauen der mittleren Elbe zwischen dem sachsen-anhaltischen Torgau und Rogätz; die anderen Flüsse waren leer gewildert.

In buchstäblich letzter Sekunde gewährte Feind Nr. eins dem größten Nagetier der nördlichen Hemisphäre Schutz. Heute besiedeln wieder mehr als 4.000 Biber Schwarze Elster, Mulde, Saale, Havel, Oder, Peene und Warnow sowie den Spessart, das Ems- und Saarland, und in der Elbe sind die gewandten Schwimmer bis vor die Tore Hamburgs gezogen.

Flusskilometer 364. Rainer Gunia, der das Schlauchboot auf Kurs hält, visiert einen unscheinbaren Landungssteg an. Eben sind wir in unserem Gummiboot dem Wellengang eines großen Lastkahns knapp entkommen. Vom Deich aus betrachtet wirkt die Elbe mit ihren Altarmen, Tümpeln und Auenwäldern idyllisch und naturbelassen. Dieser Eindruck verliert sich auf dem Wasser. Der Fluss ist eine gut befestigte Verkehrsstraße. Freizeitkapitäne lärmen in ihren Motorbooten heran, Kaffee-und-Kuchen-Dampfer bieten Ausflüglern eine schöne Kulisse, ab und an ein Binnenschiff. Überall sind Buhnen ins Wasser getrieben. „Diese künstlich geschaffene Verengung erhöht die Fließgeschwindigkeit des Flusses“, erklärt Rainer Gunia die Funktion der Steinwälle. „Das führt zu Erosion im Flussbett und treibt den Fluss weiter in die Tiefe.“ Diese Manipulation ist im Sinne der Binnenschifffahrt, kann aber durch die Grundwassersenkung den Auenwäldern, auch Wasserwälder genannt, das Lebenselixier abgraben. Kollektiv paddeln wir gegen die Strömung an und machen am Steg neben einem Holzkahn fest, in dem es von Flusskrebsen wimmelt.

Landgang: Mitten auf dem Acker hat Fischer Riedel seinen Imbisswagen geparkt, Tische und Bänke aufs Feld gerückt. Fischer Riedel tischt auf: Forelle, frisch geräuchert, frisch gefischt im hauseigenen Teich. „Fisch aus der Elbe“, sagt Reinhard Riedel, „ist nicht zum Verzehr freigegeben.“ Die Wasserqualität ist seit der Wende durch den Niedergang der Industrie und den Bau von Klärwerken zwar deutlich gestiegen, bekömmlich ist der Cocktail aus Cadmium, Phosphor, Stickstoff, Quecksilber und Wasser aber nach wie vor nicht.

„Land der Stille“ nennt sich die im Vergleich zu anderen Gebieten Deutschlands dünn besiedelte Altmark. Die Altmark gilt als strukturschwache Region. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20,3 Prozent, weitere 20 Prozent der Erwerbstätigen stecken in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – das glättet die Bilanz. Traditionell landwirtschaftliches Gebiet – doch für die ehemaligen LPG-Arbeiter gibt es nicht mehr viel zu tun. Mittlere Betriebe, wie die Schokoladenfabrik in Tangermünde, haben zugemacht. Was bleibt als Ressource und Kapital für die Zukunft. ist die relativ intakte Natur. 1997 hat die Unesco repräsentative Flussabschnitte wegen des einzigartigen Reichtums an Tieren und Pflanzen zum Biosphärenreservat erklärt.

Die ostdeutschen Auenwälder sind eine Rarität. Eine der letzten noch weitgehend intakten mitteleuropäischen Stromtallandschaften steht damit auf einer Gesamtfläche von 375.000 Hektar unter Schutz. Urlaub auf dem Lande: Tourismus als Vision und Lösung für die ökonomische Misere der Provinz und für eine Region, die sich noch von den Folgen der Wende erholen muss?

Wir erholen uns im Heu. Nabu hat in Buch eine Fachwerkscheune nach ökologischen Kriterien, in traditioneller Lehmbauweise und ausschließlich von regionalen Handwerkern sanieren lassen und darin im Mai 1999 eine Heuherberge eröffnet. Im benachbarten ehemaligen Pfarrhaus ist das Zentrum für Ökologie, Natur- und Umweltschutz: Insgesamt sechs Festangestellte und 34 ABM-Kräfte arbeiten hier.

Ute Dicks, 33, studierte Geografin und im September 1997 aus Trier übergesiedelt, koordiniert das Projekt Tourismus: „Wir organisieren beispielsweise ökologisch orientierte Klassenfahrten. Die Kinder finden es großartig, im Heu zu schlafen, und sie verfolgen mit Vergnügen die Liveübertragungen aus unserem Storchennest.“ Meister Adebar hockt auf dem Dach, zieht dort die Nachkommen groß, und das unter Totalüberwachung: Eine Videokamera überträgt das Familienleben der Zugvögel live aus dem Wohnzimmer auf einen Fernsehschirm nach unten. Im Hofladen werden regionale Produkte wie Schafskäse, Obstwein, Honig direkt vermarktet. Konzept ist, eine eigenständige, nachhaltige Regionalentwicklung zu fördern. „Die Heuherbergsgäste werden teilweise durch die Bucher Gaststätte verpflegt“, sagt Ute Dicks. „So verteilt man die Einnahmen im Dorf auf mehrere Schultern.“

Unter dem Dach von Nabu ist auch das touristische Kooperationsprojekt „Dorfhotel Buch“ untergebracht, ein Novum und Netzwerk zur Schaffung eines attraktiven Angebots. Fünf private Vermieter, darunter zwei Reiterhöfe, die Gaststätte und Nabu arbeiten zusammen und organisieren Urlaub auf dem Lande für Gruppen- und Einzelreisende. Die Altmark ist ein Paradies für ReiterInnen.

Die Biberfreunde sind mit dem Schlaferlebnis Heu zufrieden. Auf Leihfahrrädern folgen wir dem Elbwanderweg – vom Elbsandsteingebirge bis Cuxhaven mehr oder minder verkehrsberuhigt und elbnah geführt. Am Naturschutzgebiet Bölsdorfer Haaken betreibt Nabu Besucherlenkung. „Die Besucher sollen nicht im Naturschutzgebiet herumlaufen, deshalb haben wir den Aussichtsturm gebaut“, erklärt Wolfgang Lippert, der heute die Führung übernommen hat. Der offene Altarm und die Überschwemmungszone zwischen Fluss und Deich sind von der Plattform des Zehn-Meter-Turms gut einzusehen.

Wolfgang Lippert, um die 60, geboren in Buch, Ornithologe und Deichwächter auf ABM-Basis, berichtet, dass noch zu Lebzeiten seiner Großeltern die Elbe zwischen Jerichow und Buch viel Platz und ein verzweigtes Netz an Nebenarmen hatte. Flüsse, die auf feinkörnigem Untergrund unterwegs sind, strömen ursprünglich flach und breit durchs Land. Man ließ der Elbe nicht den Lauf, sondern reduzierte ihn zur Jahrhundertwende auf ein Bett. Früher betrug die Hochwasserfläche etwa 6 bis 7 Kilometer, heute im Schnitt 800 Meter. „Was aus Flüssen wird, denen man das Schwemmland ganz geraubt hat, sehen wir ja an den jährlichen Jahrhunderthochwassern“, sagt Wolfgang Lippert. „Überschwemmungen und unregelmäßige Wasserstände sind absolut notwendig für diese Landschaft, sonst verlieren Kraniche, Adler, Störche und Biber, um nur einige zu nennen, ihren Lebensraum und die Nahrungsquellen.“

Aus dem Gebüsch kommen Nagegeräusche: Die Holzfäller sind bei der Arbeit. Biber gestalten als einzige Tierart ihren Lebensraum selbst. Sie sind pfiffige Ingenieure und geschickte Handwerker: bauen Dämme, regulieren Wasserstände, legen Seen an – neue Feuchtbiotope entstehen, in denen auch andere Quartier finden, Kraniche zum Beispiel. Zwei Biber lösen sich aus dem Schutz der Böschung, gleiten aufeinander zu und stupsen sich freundlich die Schnauzen. Der eine verschwindet in der Holzburg, der andere schwimmt noch eine Runde im See. Die abendliche Stille wird von zehn Schlägen unterbrochen. 22 Uhr, meldet der Bucher Kirchturm. Dorfhotel Buch & NABU-Öko-Scheune, Querstraße 22, 39517 Buch. Tel.: (03 93 62) 8 16 73, E-Mail: NABU.KV-Stendalt-online.de

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