: Zerstörte Gräber zum Tag der Einheit
■ Nach Verwüstung des Jüdischen Friedhofs in Weißensee fordert Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, „null Toleranz“ für die Täter. Hakenkreuze am Denkmal für deportierte Juden an der Putlitzbrücke
Unbekannte haben den größten jüdischen Friedhof Europas im Bezirk Weißensee verwüstet. Die Täter warfen mindestens 103 Grabsteine um. Die meisten davon zerbrachen durch die Gewalteinwirkung, einige zersplitterten regelrecht. Umgestürzte Steine versperrten gestern nachmittag den Weg zwischen den Gräbern.
Am Denkmal für die deportierten Juden an der Putlitzbrücke in Tiergarten wurden in der Nacht zum Montag Hakenkreuzschmierereien entdeckt, teilte die Polizei mit. Auch auf dem Friedhof der evangelischen Georgen-Parochial-Kirche in Friedrichshain fand die Polizei am Montag 26 umgeworfene Grabsteine. Der Staatsschutz ermittelt, ob zwischen den Anschlägen ein Zusammenhang besteht.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, sprach gestern in Weißensee von „irreparablen Schäden“. Nach seinen Angaben wurden die Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof zwischen Freitagabend und Montagmorgen umgeworfen. Friedhofsangestellte hätten den Schaden erst am Montagmorgen endeckt. Farbschmierereien waren nicht zu sehen. Auch ein Bekennerschreiben lag nach Angaben der Polizei nicht vor.
„Die Jüdische Gemeinde hat die Nachricht mit großer Abscheu aufgenommen“, sagte Nachama. Er kritisierte, dass die Täter bei Friedhofsschändungen fast nie gefasst würden, und forderte „null Toleranz mit den Tätern“. Alle Berliner seien aufgerufen, „so etwas unmöglich zu machen“.
Die Verwüstungen sind ein weiterer trauriger Höhepunkt einer Serie von unaufgeklärten Zerstörungsaktionen auf vorwiegend jüdischen Friedhöfen, die im September 1998 in dem Sprengstoffattentates auf das Grab des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, in Spandau gipfelte. Auch der Friedhof in Weißensee war im Oktober 1997 Ziel eines Anschlages, damals stießen Unbekannte drei Grabsteine um. Der jüdische Friedhof im benachbarten Bezirk Prenzlauer Berg wurde im September des gleichen Jahres von Unbekannten heimgesucht.
Die innenpolitische Sprecherin der PDS im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, nannte die Vorfälle vom Wochenende ein „bestürzendes Zeichen dafür, wie virulent der Antisemitismus immer noch ist“. Innensenator Eckart Werthebach sagte hingegen, er könne sich „viele Tatzusammenhänge vorstellen“. Über eine Verbindung zum Tag der Deutschen Einheit wollte Werthebach nicht spekulieren.
Eine verstärkte Überwachung jüdischer Grabstätten ist nach Angaben von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky nicht geplant. „Ein Friedhof dieser Größenordnung ist nie vollkommen zu schützen“, so der Polizeichef. Saberschinsky schloss „Vandalismus“ als Motiv nicht aus, da bislang keine Hinweise auf eine politische Tat vorlägen.
Der Großteil der zerstörten Gräber in Weißensee war in den Jahren zwischen 1940 und 1955 angelegt worden, viele davon gegen Ende des Dritten Reiches zunächst behelfsmäßig. Insgesamt sind auf dem 1880 gegründeten Friedhof 115.000 Tote begraben. Auf dem 43 Hektar großen Gelände befinden sich auch die Gräber des Verlegers Rudolf Mosse und des von den Nazis ermordeten Kommunisten Herbert Baum.
Andreas Spannbauer
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