Null Toleranz gegen Verharmlosung

■  Jüdische Gemeinde fordert nach der Schändung der Gräber in Weißensee Sicherheitskonzept für den Friedhof. DGB und SPD-Chef Strieder werfen Innensenator Werthebach Verharmlosung vor. Von den Tätern fehlt jede Spur

Rechte Parolen weisen den Weg. Die Berliner Allee unweit des Jüdischen Friedhofes in Weißensee, der am Wochenende von Unbekannten geschändet wurde, ist vollgepflastert mit Plakaten der „Republikaner“ und der NPD. Alle paar Meter hängen Schilder wie „Berlin wählt jetzt rechts“ (Reps) und „Mut zur Wahl. Wähl national“ (NPD). Die Plakate der PDS („Nazis raus: aus den Köpfen“), der CDU und SPD gehen unter. Am Beginn der Herbert-Baum-Straße, die zu Europas größtem jüdischem Friedhof führt, stehen zwei Stelltafeln der Grünen. Unter der Überschrift „Null Toleranz“ wenden sie sich gegen „Ausländerhetze“ der CDU. Das Wort „Ausländerhetze“ ist mit schwarzer Farbe überschmiert.

Nachdem die Medien ausführlich darüber berichtet hatten, dass am Wochenende auf dem Friedhof 103 Grabsteine umgeworfen und zum Teil zerstört wurden, kamen gestern einige Berliner, um sich selbst ein Bild zu machen. Ein älteres Ehepaar, in Berlin lebende russische Juden, lief schweigend durch den abgesperrten Bereich des 42 Hektar großen Friedhofes. Das ist Faschismus“, sagte der Mann mit tränenerstickter Stimme. „Ich bin enttäuscht und kann das nicht verstehen“, sagte eine 19-jährige Jurastudentin aus Tempelhof. „Das ist eine Schweinerei“, schimpfte ein Mann aus Weißensee, der erleichtert war, dass die Gräber seiner Eltern nicht zerstört wurden.

Der Friedhof wurde in der Vergangenheit schon mehrfach geschändet. Außerdem wurde in der Nacht zum Montag das Denkmal für die deportierten Juden an der Putlitzbrücke in Tiergarten und das Bertolt-Brecht-Denkmal am Schiffbauerdamm mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert. Zudem wurden 26 Gräber auf einem evangelischen Friedhof in Friedrichshain geschändet. Der Staatsschutz hat bisher noch keine konkrete Spur.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, forderte gestern ein Sicherheitskonzept, um „effektiv solches Gesindel fern zu halten“. In der Zwischenzeit haben sich zwei Steinmetzfirmen bereit erklärt, die Reparatur der Schäden unentgeltlich zu übernehmen. Steinmetz Otmar Kagerer aus Weißensee: „Man darf nicht nur nehmen, sondern muss auch geben.“

Die Äußerung von Innensenator Eckart Werthebach (CDU), der am Montag von einem „Akt des blindwütigen Vandalismus“ gesprochen hatte, wurde gestern von mehreren Seiten heftig kritisiert. Der DGB erklärte, dass solche Äußerungen geeignet seien, „die Tat und die Motivation der Täter zu verharmlosen“. Der SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder sprach von einem „weiteren Beleg für die Verharmlosung des Rechtsradikalismus durch die CDU“.

Der Bürgermeister von Weißensee, Gerd Schilling (SPD), rief die Bürger seines Bezirkes auf, mit der Abgabe ihrer Stimme bei den Wahlen am Sonntag „ein deutliches Zeichen gegen rechte Gesinnung zu setzen“. Zur letzten Bundestagswahl gaben 2.206 Weißenseer ihre Erststimme den „Republikanern“. B. Bollwahn de Paez Casanova