Ein Wahlkampf wie in Tausendundeiner Nacht

■ taz-Serie über Einzelbewerber bei der Abgeordnetenhauswahl (Teil 4): Cemalettin Çetin (69) leitet seit 16 Jahren im Wedding eine Beratungsstelle für türkische Familien und kämpft für die Integration und Gleichstellung seiner Landsleute

Anfangs erklärte Cemalettin Çetin seinen Landsleuten aus Anatolien, wie Rolltreppen und U-Bahnen funktionieren. Deutsche klärte er darüber auf, dass Auberginen keine schwarzen Gurken sind. Das war vor über 30 Jahren. Seitdem ist der 69-Jährige zu einem gefragten Fachmann in Sachen Integration geworden.

1983 eröffnete der freie Journalist eine Familienberatungsstelle für türkische Familien im Wedding, die vom Senat getragen wird. In einem bescheidenen Büro bekommen türkische Familien Hilfe bei Behörden- und Ämtergängen. Çetin erzählt, dass er ein größeres und schöneres Büro hätte bekommen können. Doch das will er gar nicht. Der Grund: „Die Menschen sollen mich klein sehen, und ich will die Menschen sehen.“

Im Laufe der Jahre hat Çetin auch hunderte von Hausbesuchen gemacht. Oft war die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) an seiner Seite. Gerne erzählt er Integrationsgeschichten mit Happy End. So wie die von der türkischen und der deutschen Familie, die jahrelang grußlos nebeneinander wohnten und jetzt gegenseitig Blumen gießen. Doch Çetin weiß auch, dass das nur eine Seite der Medaille ist.

Weil es immer noch keine Gleichstellung gibt – türkische Mädchen mit Kopftuch etwa finden schwer eine Lehrstelle –, tritt er als Einzelkandidat an: im Wahlkreis 3 im Wedding und nicht in Wilmersdorf, wo er wohnt und auch Mitglied der CDU ist. Dort gibt es viel weniger Ausländer als im Wedding und zum anderen würde ihn die CDU dort nicht aufstellen.

Eintausend Broschüren hat Çetin im Wedding verteilt. In Deutsch und in Türkisch führt er die vier Punkte an, die ihm besonders wichtig sind: Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit will er Existenzgründungen fördern. Damit alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen, sollen kleine und mittlere Betriebe staatlich gefördert werden. Als eines der wichtigsten Probleme bei der Integration sieht Çetin die Wartezeit von drei Jahren auf eine Arbeitserlaubnis für Ehepartner, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen. Deshalb schlägt er einen einjährigen Deutschpflichtkurs mit anschließender Arbeitserlaubnis vor. Außerdem fordert er ein türkisch-deutsches Gymnasium.

Çetin selbst ist ein Musterbeispiel für Integration: Seit vielen Jahren mit „einer deutschen Dame“ verheiratet, spricht er von „unserem Bundespräsidenten“, für seine Arbeit bekam er 1985 das Bundesverdienstkreuz. Seine Chancen zur Wahl sieht Çetin 1.000 zu 1. „Wie in Tausendundeiner Nacht“, sagt er unter lautem Lachen. „Es geht darum, den Mut zu haben, diesen Weg zu gehen.“ B. Bollwahn de Paez Casanova

Wird fortgesetzt