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Die Taktik weicht der Panik

Leben in der Bundesliga (XXI): Warum die Basketballerinnen von City Basket Berlin zur Zeit ordentlich vermöbelt werden, aber Trainer Simonsohn dennoch lachen kann    ■ Von Rüdiger Barth

Wenn Verlierer so aussehen, kann verlieren nicht so schlimm sein. Sören Simonsohn (38) lächelt, wenn er erzählt, wie seine Spielerinnen die ersten beiden Partien in der Basketball-Bundesliga vergeigt haben. Einmal mit 48, einmal mit 58 Punkten Abstand, das sind Welten. Aber wenn einer beim Tabellenletzten City Basket Berlin über die Pleiten lachen darf, dann Trainer Simonsohn, denn er ist zugleich der Vereinspräsident.

Aber er macht sich nicht lustig über die Leistung, es ist eher Galgenhumor. Er findet die Situation „einfach absurd“: Drei Tage vor Saisonbeginn haben sie in Berlin erfahren, dass sie doch nicht in die zweite Liga abgestiegen sind; da war es längst zu spät für eine vernünftige Vorbereitung. Jetzt fehlt „den Mädels die Spritzigkeit, die Robustheit und die Ausdauer“, fehlt also alles, was eine Frauschaft braucht, um sich gegen Abwehrriegel durchzusetzen und selbst Gegner am Wurf zu hindern.

Aber wenn es doch nur die Athletik wäre: Basket Berlin ist mit einem Schnitt von 1,75 Metern das kleinste Team der Liga, müsste also mit schnellen Pässen den gegnerischen Leuchttürmen Knoten in die Beine kurven. „Aber dazu sind wir zur Zeit viel zu pomadig“, sagt der Coach.

Und auch das wäre noch zu verkraften, wenn die Spielerinnen mit Routine den Schaden in Grenzen hielten: seelenruhig dribbeln, das Spiel beruhigen, nicht gleich die erstbeste Chance zum Wurf nehmen. „Tja“, sagt Simonsohn, „das klappt bei uns auch noch nicht.“ Die Kubanerin Zenaida Mc Catty (37) muss Centerin spielen, die Alt-Internationale Karin Reiche (31) ist langzeitverletzt. Sonst stehen im Zwölfer-Kader sechs A-Jugendliche, City Basket gilt als effektive Talentschmiede.

Aber Begabung reicht oft nicht, ungewohntem Druck standzuhalten – die zwei 18jährigen, die den Spielaufbau ordnen sollen, werden zu schnell nervös, weil die Berlinerinnen schon in der eigenen Hälfte angegriffen werden. Im Fußball nennt man das Pressing, und es macht auch im Basketball die Räume eng und die Ballführende so hibbelig, dass sie „irgendwann nur noch froh ist, ihn los zu sein. Egal, wo er landet“, wie Simonsohn sagt. Die Taktik weicht der Panik. Um die Nachwuchskräfte „nicht zu verheizen“, testet er jetzt die erfahrene US-Amerikanerin Holly Rillinger.

Er hätte sich das alles sparen können. Unerwartet war man im April dieses Jahres abgestiegen. Die Enttäuschung saß tief, viele Spielerinnen verlümmelten den Sommer, weil sie sich auch so stark genug für die zweite Liga fühlten. Die beiden Leistungsträgerinnen verließen den Verein. Er habe sogar noch Elena Chitchko geholfen, in Chemnitz unterzukommen, und die junge Nationalspielern Nicola Sernow nach Halchter-Linden vermittelt, erzählt Simonsohn. Sernow sollte ihr Zweitspielrecht für City Basket nutzen, den vermeintlichen Zweitligisten, und trainiert daher weiterhin in Berlin – spielt aber für die direkte Konkurrenz.

„Dumm gelaufen“, sagt dazu der Trainer. Zu spät erreichten die Gerüchte um Osnabrücks Verzicht Berlin. „Freitags haben wir das gehört, am Dienstag um 9.30 Uhr mit Senatsvertretern gesprochen und um 11.30 Uhr zugesagt“, erzählt Simonsohn. Aus dem Stand haben sie den Etat von 200.000 Mark zusammengekratzt.

Jetzt sitzt Simonsohn vor seinem Kaffee und lächelt. Das 43:91 in Halle war eine „Klatsche“, sagt er, aber das 32:90 gegen Wuppertal „schon ein Riesenerfolg“. Der deutsche Meister trainiert 14-mal in der Woche, Berlin ganze viermal; man habe immerhin verhindert, dass „die uns abschlachten, 120 Punkte machen.“

Morgen nun geht es nach Chemnitz, und auch da rechnet man sich nicht viel aus. „Wir brauchen mindestens noch vier Wochen, um uns solchen Gegnern wirklich stellen zu können.“ Er sagt, „dass die Mädels ein dickes Fell kriegen müssen“, und versteht sich momentan „mehr als Psychologe denn als Übungsleiter“.

Was kann er tun? „Kurzfristig überhaupt nichts“, sagt Simonsohn. Die nächsten Ergebnisse interessierten ihn nicht, er werde im Training „ranklotzen“, um endlich jene athletische Basis zu legen, für die die Saisonplaner den Sommer erfunden haben. Man kann sich eben als Underdog nicht wie im Fußball hinten reinstellen. Wer immer auch nur einen Schritt langsamer ist, verliert qualvoll hoch.

Deswegen sieht Simonsohn das Unternehmen Klassenerhalt auch nicht als aussichtslos an. Das Potenzial reiche für die Liga aus. Und er hat sich das schon durchgerechnet: Man muss die wichtigen Spiele gewinnen, die am Ende der Saison, die gegen die anderen Abstiegskandidaten. Darauf wird er sein Training abstimmen.

Aber macht ihm das nichts aus? Simonsohn hat selbst mal zweite Liga gespielt, er lebt für diesen Sport. So einer mag keine Debakel. Wie fühlt sich das an, sein Team untergehen zu sehen? „Ich sage mir, dass nicht mehr drin ist.“ Das ist alles? Keine vage Hoffnung, kein Zorn? Er überlegt. „Vor 20 Jahren wäre ich durchgedreht, vor zehn Jahren hätte ich nicht schlafen können“, sagt er dann. „Nach dem Wuppertal-Spiel habe ich die D-Jugend spielen sehen. Die sind so begeistert dabei, da konnte ich nicht mehr böse sein.“

Außerdem ist er es ja gewohnt zu hoffen. Mit 22 war Simonsohn mal der jüngste A-Schein-Inhaber Deutschlands. Zum Abschied sagt er: „Es war immer mein Traum, Trainer zu werden.“ Und dann, ganz so, als solle das nicht zu pathetisch wirken: „Aber das Leben ist eigentlich zu kurz für Frauen-Basketball.“ Natürlich meint er das nicht ernst. Simonsohn lacht jungenhaft und geht, das Training wartet.

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