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■ In der Hitze der Nacht: Kuttners Volksbühnen-Special „Schlager am Ende des Ganges“

Als alles vor drei Jahren begann, waren Jürgen Kuttners lehrreich unterhaltende Videoschnipselvorträge in der Volksbühne noch als einmalige Randbemerkung zur deutschen Einheit geplant. Weil aber das Programm sich als sehr massenwirksam erwies und man in den Fernseharchiven immer mehr bewegte Zeugen der ostwestlichen Mentalitätsgeschichte aus vergangenen Fernsehtagen fand, ging es in Serie.

Am Rande fürchtete man nur, dass es sich Kuttner zu gemütlich auf der Ost-West-Schiene machen würde. So bangte man auch vor dem 7. Oktober. Doch während andere den 50. Jahrestag der im Umschwung Verblichenen zeitgleich im Kino International mit der Premiere der „Sonnenallee“ und anschließender Ostalgieparty feierten, wurde Kuttner international.

Die Volksbühne war am Donnerstag trotzdem wieder ausverkauft. Es lag durchaus in Kuttners Absicht, einen Teil seines für allerlei wohlige Ostsentimentalitäten anfälligen Publikums vor dem Besuch der dafür zuständigen Events abzuhalten. Deshalb hatte er sich diesmal einige Gäste eingeladen: den jungen indischen Regisseur Riyad Wadia, dessen Dokumentarfilm über seine Tante, die indische Stuntqueen und Kinolegende „Fearless Nadia“, die in den 30er-und 40er-Jahren ihre größten Erfolge feierte, auf der Berlinale für Aufsehen gesorgt hatte. Und die Kollegin Dorothee Wenner, die wiederum ein schönes Buch über die indische Kinolegende geschrieben hat (“Zorro's blonde Schwester“, Ullstein).

Nicht ost- und westdeutsche TV-Schnipsel trafen also beim „Kuttner-Special: Schlager am Ende des Ganges“ aufeinander; sondern der integrierte Musikclip in den Epen des Kinos aus Bombay wurde mit Schlagern aus Ulbrichts Zeiten kombiniert und kommentiert unter Überschriften wie Gründungsmythen, Geschlechterverhältnisse, Verwestlichung usw. Kuttner stand dabei leicht nervös wippend in einem T-Shirt mit großem „K“ auf der Bühne, übersetzte die eleganten Ausführungen Riyad Wadias zu den indischen Clips ins Kuttnerische, und alles funktionierte gut.

Wie immer ging es um die Grundfrage aller aktuellen Diskurse: Wie anders oder wie gleich ist uns das Fremde? Und umgekehrt. Wie ging die Westernisierung in der DDR und in Bombay ikonografisch vonstatten? Gibt es strukturelle Analogien? Indien und die kleine DDR: beides junge Staaten, Ulbricht und Nehru, beide fasziniert von Stalin. Hier wie dort verband man gern das Unterhaltende mit dem pädagogisch Nützlichen. In Indien ist das Massenmedium der Volkserziehung der ausufernde, bunte operettenhafte Film, in der DDR war's eher das SW-Fernsehen. Zwar waren die Filmschaffenden beider Länder stark von der russischen Kinematografie beeinflusst, doch während sich das Lernziel in der DDR gern in den Vordergrund drängte, konnte es sich in den Bollywoodproduktionen kaum gegen den überbordenden Bilderreichtum und Mythenschatz durchsetzen. Die westliche Dekadenz und Promiskuität, die die First Lady des indischen Films etwa als betrunkenes Hippiemädchen brandmarkt, kommt gleichzeitig äußerst sexy rüber. Der „Letkiss“ dagegen – ein noch absurderer Tanz als der bekanntere Lipsi, mit dem man in der DDR auf westlich dekadente Tanzen reagierte – imponiert durch Reduktion, wirkt also eher komisch asexuell und hausbacken.

Am Ende gab's wie immer den genialen frühen Wahlkampfclip der Grünen mit BAP und Joseph Beuys als mikrofonwirbelnden Leadsänger: „Wir wollen Sonne statt Reagan“. Und dann guckte man sich noch „Khilari“ an, den parodistischen letzten Actionfilm mit Fearless Nadia, oder man tanzte zu indischer Clubmusik und staunte über die große Kraft eines Drinks namens „Bombay Heat“. Toll! Detlef Kuhlbrodt

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