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Victor Klemperers Tagebücher erzählen die Geschichte nicht von ihrem Ende her. Wie lässt sich diese Perspektive verfilmen? Die ARD hat den Stoff nun in zwölf Teilen für das Fernsehen eingerichtet ■ Von Elke Schmitter
Nun ist es ja nicht so, dass wir über den Faschismus gar nichts wüssten. Trotzdem waren die Tagebücher des Philologen Victor Klemperer – vor vier Jahren ein Ereignis auf dem so genannten Büchermarkt – doppelt außergewöhnlich: literarisch, weil für Klemperer die Sprache des Dritten Reiches und ihre bewusstseinszerstörende Macht selbst ein Thema ist. Und politisch, weil die Perspektive der gut 1.500 Seiten nicht die nachholende und daher immer schon wissende der Autobiografie ist: sondern die zweifelnde und zögernde, die von Zuversicht und wachsender Sorge und schließlich berechtigter Panik gebeutelte eines Juden in Dresden. Der lange die Emigration erwägt und schließlich verwirft. Der sich durch seine arische Frau geschützt fühlt und sie schließlich mit in sein Elend nimmt. Der an die Deutschen als Kulturträger glaubt, an Ritterkreuz, Menschen- und Professorenwürde, der also einfach nicht fassen kann, was in Dresden tatsächlich und in Auschwitz den Gerüchten nach geschieht.
Die Tagebücher Klemperers erzählen die Geschichte nicht von ihrem Ende her. Wie kann man eine solche Perspektive verfilmen? (Denn wenn es darum nicht ginge, dann hätte die ARD ihrem volkspädagogischen Auftrag mit jedem anderen Stoff leichter nachkommen können.) Ohne die Kenntnis des Ganzen – trotz allerlei Pomp und Bohei war es der Anstalt nicht möglich, mehr als zwei ausgewählte Fölgchen von diesem „TV-Ereignis '99“ der Presse vorab zur Kenntnis zu bringen – gibt es doch Gründe für die Vermutung: Kai Wessel (der Regisseur der ersten acht Folgen) weiß es nicht so genau. Andreas Kleinert, verantwortlich für die zweite Hälfte, hat eine sehr gute Idee.
Hakenkreuzfahnen an düsteren Mauern, Propagandazettel auf verregnetem Pflaster, ein Judenstern an die Wand geschmiert, dazu dramatisch raunende Musik: Da wissen wir, dass das Verhängnis kommt. Es lauert nicht nur um die Ecke, es führt die Kamera, den Ton, das Licht, und das Publikum führt es auch: direkt in das schaurig-wohlige Zittern, das solcherart Geschichtstragödien begleitet. Der Pilotfilm von Kai Wessel bedient sich all der Zeichen, die wir aus Dokumenten (und anderen Filmen) kennen, orchestriert sie mit den Instrumenten der Anteilnahme, die ein guter Regisseur kennt, und sorgt so für eine Beatmung der Historie, wie wir sie insgesamt kennen: 1933 (erzählte Zeit der ersten Folge) als Vorzeit der Vernichtungslager. Das ist hochanständig gedacht und gemacht, aber es ist in all seinen ästhetischen und inhaltlichen Mitteln hermetisch konzipiert, und deshalb hat es mich gelangweilt (sieht man von dem imperativen Zugriff ab, den eine solche Verfilmung notwendigerweise ausübt, sofern sie nicht indiskutabel ist). Die Regie ist klüger als ihr Protagonist, das Publikum ist so klug wie die Regie, und Klemperer wird unter all dieser Klugheit das arme Würstchen „Opfer der Geschichte“, das er als Tagebuchautor nicht war.
Die neunte Folge („Als der Stern aufging“) unter der Regie von Andreas Kleinert beginnt mit einem Genrebild: Herr und Frau Klemperer in einem großen Zimmer mit alten Möbeln, Villa der Gründerzeit, mit Spitzendecken und Büchern, Klavier, Porzellan und Katze, außerdem Blick ins Grüne. Herr Professor Klemperer tippt in eine Schreibmaschine, die Dame sitzt an einem anderen Tisch und legt sich eine Patience. Eine Oase der Behaglichkeit, sagen uns auf den ersten Blick die Gegenstände und das Licht, sagt uns das eigene Empfinden, sagt uns das Wissen, dass draußen irgendwo ja der Faschismus tobt. Bis die beiden zu sprechen beginnen: Sie ist durch sein Tippen entnervt, er macht ihr Vorwürfe, dass sie schließlich gar nichts tue, worauf sie pariert, dass er stinke, er könne sich wenigstens waschen ... Und plötzlich ist der Faschismus nicht mehr draußen, denn seine Opfer sitzen hier drin und sind sich Feind geworden, in einer Idylle, die längst Gefängnis ist: das gemeinsame Zimmer im „Judenhaus“, das den Klemperers im Mai 1940 zugewiesen wurde.
Es ist das eigene Schwanken, das aufmerksam macht: Die Sprache der Bilder, des Lichts und der Musik ist eine andere als die der Menschen; die Gegenläufigkeit affiziert nicht nur das Gefühl, sondern auch die eigene Urteilskraft. Was ist denn nun von der Sache zu halten, ist der Faschismus draußen eine traurige, zufällige Verwirrung, ein kleines Stolpern in der Geschichte? Oder ist der solide Glanz der Dinge, das heimliche Vertrauen, das Bücher, Buffets, ein Klavier auslösen, nur der aus abgelebten Zeiten, schon nicht mehr wahr und keinesfalls ein Schutz gegen den Vormarsch des Tatsächlichen? So nimmt man die Perspektive der Klemperers ein in diesem zögernden Zweifel, woran man sich denn zu halten habe, und so hat es Kleinert vermocht, mit dem beiläufigen Antagonismus von Ausstattung und Schauspiel unsere historische Kenntnis zu unterlaufen. Es ist nicht mehr bedeutsam, was wir wissen: Wir sind ratlos wie die Protagonisten, von Angst und Hoffnung geplagt, Philologen einer rätselhaften, immer bedrohlicher werdenden Gegenwart. Nicht Opfer, nicht Helden, sondern Subjekte.
Mehr kann man von einem Spielfilm mit Fug nicht verlangen. Das Drehbuch hat sich sinnvollerweise die Freiheit genommen, Randfiguren der Tagebücher zu verschmelzen, zu individualisieren oder zu typisieren. Wie weit es ihm gelungen ist, die verwirrende Realität eines „in Mischehe“ überlebenden Juden im Nationalsozialismus darzustellen, muss die Gesamtabfolge zeigen. (Die Kompliziertheit von Klemperers Situation und die Verwirrung seiner Mitbürger, die sich verdichtende wie ausdehnende Angst und das Gerücht als letzte Informationsquelle sind in seinen Tagebüchern Hauptthema und zugleich Modi der Erkenntnis.) Fraglos aber ist es Matthias Habich und Dagmar Menzel gelungen, die Figuren von Victor und Eva Klemperer zu möglichen Hauptfiguren eines künftigen kollektiven Bewusstseins zu machen: Mit ungemeiner Präzision zeigt Habich das Schwanken Victor Klemperers zwischen Empörung und Angst, grundiert vom nicht selten hochfahrenden Selbstbewusstsein des deutschen Professors; diskret und intensiv verkörpert Dagmar Manzel die loyale und zugleich eigensinnige Ehefrau, nervös und verzweifelt, dann wieder gierend nach Lebenslust, tapfer und von Anspannung zerrüttet. Dank dieser beiden ist es auch eine Ehegeschichte geworden; zwölf Jahre einer „Mischehe“ im nationalsozialistischen Deutschland.
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