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■ Wo war Sloterdijk? Der deutsche Philosophenkongress tagte in Konstanz und offenbarte die Welt als Wille und dpa-Vorstellung
Nirgends gab es in dieser Woche so viele hauptberufliche Denker wie in Konstanz. Was weiß nun die Menschheit über den XVIII. Deutschen Kongress für Philosophie? Da der Tagungsband erst in einem halben Jahr vorliegen wird, weiß sie vor allem das, was die Zeitungen schreiben. Was wissen die Zeitungen über den fünftägigen Kongress und seine 700 Teilnehmer? Vor allem das, was die Agentur dpa gemeldet hat. Was aber, wenn dpa gar keine Lust hatte, über das Treffen zu berichten – sondern nur über das, was dpa von Peter Sloterdijk zu wissen glaubt?
WAS KANN ICH WISSEN?
Am Montagmorgen kann ich feststellen, dass in Konstanz noch alles in logischen Bahnen verläuft. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß hält die Eröffnungsrede. Er führt aus, dass die Philosophen sich mit der „Zukunft des Wissens“ ein aktuelles Thema gewählt haben und die Wende zum neuen Jahrtausend „auch die Stunde der Philosophie“ sein sollte. Zum Schluss erklärt Mittelstraß sinngemäß, ohne Sloterdijk namentlich zu erwähnen, dass er die „derzeitige Debatte über das wachsende interventionistische Potenzial der neuen Biologie“ für plemplem halte, weil sich die professionellen Denker damit schon seit Jahren auseinandersetzen. Viele Medien seien leider „an sachlicher Arbeit und deren Ergebnissen weniger interessiert als an intellektuellen Schattenspielen“.
Außerdem sagt Mittelstraß, dass die Philosophen „zur Lösung der Probleme dieser Welt“ arbeiten. Das sagen Wissenschaftler immer – irgendwie müssen sie ja an Steuergelder kommen, außerdem meinen sie, es wäre schön, wenn ihre Arbeit einen Nutzen hätte und den weniger schwer intellektuellen Mitmenschen erklärt werden könnte. Klappt aber nie! Am Montag schon gar nicht, denn da versteht dpa nur Sloterdijk.
In der Pressekonferenz interessiert sich niemand für die „Konstanzer Erklärung“, die fordert, Philosophie bundesweit zum Schulfach zu machen. Stattdessen: Fragen zu Sloterdijk. Ob denn die „Vorwürfe“ die Meinung der deutschen Philosophen seien? Mittelstraß antwortet – sinngemäß – etwas wie „Hm, also, ähm, ich glaube, ähm, das dürfte die Mehrheit so sehen.“ Von den Kollegen, die anscheinend keine große Lust haben, über Sloterdijk zu diskutieren, kommt ein – tendenziell zustimmendes – „Hmmm“.
Die katholische Nachrichtenagentur KNA erwähnt in ihrer Meldung Sloterdijk nicht einmal. Wollen wir wetten, dass der KNA-Korrespondent am Dienstag einen Anschiss bekommen hat? Etwa so: „Sämtliche Zeitungen zitieren heute dpa: ,Mit einer Attacke gegen die Äußerungen Peter Sloterdijks zur Menschenzüchtung ist gestern der 18. Deutsche Kongress für Philosophie eröffnet worden.‘ Sloterdijk!“ KNA bezeichnet dagegen Philosophie als „auf kritische Reflexivität, Transdisziplinität und methodische Konstruktivität angelegtes Wissen“. Wie man sich eine katholische Nachrichtenagentur halt so vorstellt.
Wobei: Der Qualitätsjournalismus schreibt von Agenturen nicht einfach ab, sondern erbringt eigene Reflexionsleistungen. Die SZ meldet zu Konstanz: „Im Philosophenpark. 700 Denker gegen Sloterdijk. Mit einer Attacke gegen die Äußerungen des Philosophen Sloterdijk ist am Montag ...“ Ich denke: Bitte, warum sollten erwachsene Menschen, die Wörter wie Asphalismus sagen können, aus ganz Deutschland, den USA, sogar aus Indien nach Konstanz kommen, um dort „gegen Sloterdijk“ zu sein? Die FAZ schreibt, Jürgen Mittelstraß habe „laut dpa“ die „Exkommunikation“ Sloterdijks versucht, wolle ihn „mundtot“ machen und geriere sich als „priesterlicher Denker“. Ich dagegen maße mir nicht an, ich würde Mittelstraß in allen Nuancen verstehen. Von einer Exkommunikation habe ich aber wirklich nichts mitbekommen.
WAS SOLL ICH TUN?
Als taz-Reporter muss ich die Wahrheit suchen. Tapfer ziehe ich los. Im Kolloquium „Grenzen des Wissens“ entwickelt Holm Tetens aus Berlin den Gedanken, dass zwar nicht die Wissenschaft an ein Ende komme, wohl aber ihr „Grenznutzen“ gegen Null gehe, weil mit immer mehr Aufwand immer kleinere und unwichtigere Dinge erforscht würden.
Bevor ich es zur „Wirtschaftsethik“ schaffe, ruft mich die taz an: „Wir haben eine dpa-Meldung reinbekommen. Sloterdijk! Wichtig!“ Also gut, lasse ich die Konzernethik, aber auch das „Wissen in feministischen Perspektiven“ und suche nach Sloterdijk. Die Kollegen vom Südkurier meinen: S. sei nicht da, aber er bestimme das Geschehen. Weil sozusagen alle ständig an ihn denken? Das Gegenteil ist unbeweisbar. Der US-Geheimdienst soll Abhörgeräte haben, mit denen man nach Stichwörtern suchen kann – so was bräuchte ich auch.
In meiner Gegenwart spricht nie jemand von S. Sondern immer nur von „Hermeneutik“, „Übergangsholismus“ oder „onthologischer Ethik“. Am Donnerstag heißt es zu Bioethik, in Wirklichkeit sei alles viel komplizierter als „landläufig“ vorgestellt, es gebe auch Argumente für Klonierung und man müsse noch viel nachdenken. Diese Veranstaltung wurde extra ins Audimax verlegt, dafür „Wissensformen der Geisteswissenschaften“ abgeschoben – allein, der Ansturm auf „Probleme der Gentechnologie“ blieb aus. Die Denker gingen lieber zu „Geschichtsphilosophie“. Über diesen Tag meldet dpa: „Professor Dieter Birnbacher hat sich für eine stärkere Freigabe genetischer Selektionen und Abtreibungen bis zur Geburt ausgesprochen ... Brisanz ... Sloterdijk.“
Je länger ich über dpa nachdenke, desto mehr gerate ich ins Sinnieren. Verschwörungstheorien zucken durch mein Hirn. Tun die Damen an der Rezeption bloß so freundlich? Halten mich aber in Wirklichkeit vom realen Kongress mitsamt Sloterdijk-Diskussion fern? Bin ich gar nicht ich – sondern womöglich selber Sloterdijk? Die Philosophen haben andere Sorgen, eigentlich gar keine: Fünf grauhaarige Männer sitzen im Gespräch versunken ganz allein im riesigen Vorlesungssaal, gestikulieren, diskutieren über Hedonismus. Wie im alten Griechenland!
Ich habe am Donnerstagabend auch Glück, fast jedenfalls. Der Biologe Hubert Markl hält einen Vortrag über „Lug und Trug als Preis des Wissens“: Betrug sei ganz normal angesichts der intelligenten Wissenschaftlerhirne – müsse aber durch Selbstkontrolle bekämpft werden. Scharf geißelt Markl den Missbrauch akademischer Macht, die „Ausbeutung von Doktoranden“, die „Un-Ehrenautorenschaften“. Zum Schluss aber, um 21.30 Uhr, sagt er es doch noch, das erlösende S-Wort. Sloterdijk! Fieberhaft schreibe ich mit: „irregeleitetes Argument“, „Verzweifeln über die Unwirksamkeit des Biologieunterrichts“, „Sprechblasen, die eher wie Blähungen wirken“ ... – und dann ist es aus. Alles verschwimmt vor meinen Augen, ich kriege nichts mehr mit – ich habe verloren! dpa wird den Wortlaut bringen. dpa traue ich alles zu.
WAS DARF ICH HOFFEN?
Geschlagen sitze ich im „Café der Philosophen“. Die Bücher von 40 Verlagen spenden keinen Trost: „Nietzsche und die Deutschen“, „Nietzsche und der Elefant“ – pah! Da fällt mir der Koran in die Hände. Gibt es doch noch Hoffnung gegen dpa? Sure 9 sagt: „Den Götzendienern von dpa kommt es nicht zu, die Moscheen Allahs zu besuchen, durch ihren Unglauben wider sich selber zeugend. Umsonst sind ihre Werke, und im Feuer werden sie ewig verweilen.“ Amen. Martin Ebner
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