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Sicherheit kostet drei Milliarden

■  Als Konsequenz aus dem Zugunglück will die britische Regierung die privaten Anbieter für Bahn-Sicherheit zahlen lassen, aber Railtrack die Verantwortung wegnehmen

Dublin (taz) – Wie viele Menschen bei dem Eisenbahnunglück am Dienstag in London-Paddington ums Leben gekommen sind, wird man wohl nie herausfinden. Die Polizei ging gestern von „mindestens 70“ aus. Aber: Der Waggon H der Thames-Dieselbahn ist vollständig ausgebrannt, nach dem Zusammenstoß mit dem Intercity von Great Western Trains herrschten im Waggon Temperaturen von tausend Grad.

Seit Samstag sammelt ein Team von Pathologen vorsichtig die Asche ein, um mit Hilfe von genetischen Untersuchungen möglichst viele der Toten zu identifizieren. Das sei auch für die Lebensversicherungen wichtig, sagte ein Polizist: „Es war ein Waggon der ersten Klasse, da geht es um viel Geld.“

Am Mittwoch, dem Tag nach dem Unglück, hatte der Transportminister und Blair-Stellvertreter John Prescott (Labour) eine unabhängige Untersuchung angeordnet. Sie wird von David Davies geleitet, der bis vor kurzem wissenschaftlicher Berater im Verteidigungsministerium war. „Wenn Davies ATP empfiehlt“, sagte Prescott, „dann wird es angeschafft.“

Woher das Geld für ATP, das automatische Zwangsbremssystem, kommen soll, ist unklar. Immerhin geht es um eine Milliarde Pfund (etwa drei Milliarden Mark). Vermutlich müssen die 25 privaten Eisenbahngesellschaften, in die die Staatsbahn vor drei Jahren aufgesplittet worden ist, zahlen.

Eine vorläufige Untersuchung des Amts für Gesundheit und Sicherheit hat am Freitag ergeben, dass der Thames-Zug, der gerade aus Paddington abgefahren war, ein rotes Signal überfuhr und so den Weg des Intercity kreuzte. Lokomotivführer Michael Hodder (31) hatte erst vor zwei Monaten seine Fahrprüfung abgelegt. Die Schuld wird ihm im Untersuchungsbericht jedoch nicht zugewiesen: Paddington ist wegen des Signalwaldes auch für erfahrene Zugführer schwierig.

Die Polizei erhofft sich Aufschlüsse von der „Black Box“, dem Fahrtenschreiber, der am Samstag gefunden wurde. Beide Lokomotivführer starben bei dem Unglück. Vielleicht hat Hodder das Signal auch gar nicht gesehen. Er wäre nicht der erste gewesen, das Signal 109 ist in den vergangenen fünf Jahren achtmal bei Rot überfahren worden, weil es an einer sehr unübersichtlichen Stelle steht. Die Lokführergewerkschaft hat das mehrmals moniert, ohne dass etwas geschehen ist.

Inzwischen hat das Amt für Gesundheit und Sicherheit die weitere Benutzung des Signals verboten und zusätzliche Kontrollen bei 21 anderen Signalen angeordnet, die seit 1991 mehr als fünfmal übersehen worden sind.

Passagierverbände sagen, das sei nicht ausreichend. „Die Tragödie ist, dass wir zehn Jahre verschwendet haben und nun vor dem monumentalen Problem stehen, das aufzuholen“, sagt Jonathan Bray von „Save Our Trains“. Die Eisenbahnunternehmen behaupten dagegen, die Bahn sei seit der Privatisierung sicherer geworden, im vorigen Jahr sei kein einziger Passagier ums Leben gekommen.

Die Öffentlichkeit erwartet von John Prescott jetzt konkrete Maßnahmen, um eine Wiederholung auszuschließen. Immerhin basiert Prescotts politische Karriere zum Großteil auf seinem Einsatz für sichere Bahnen. Für die Sicherheit ist seit der Privatisierung Railtrack zuständig, dem das Schienennetzwerk und die Signale gehören. Das Unternehmen hat sich in der Vergangenheit stets dagegen gewehrt, die Sicherheitsfragen einer unabhängigen Behörde zu übertragen, da Railtrack fürchtete, dass dadurch „unrealistische Anforderungen gestellt werden, die zu erhöhten Kosten führen, wodurch es zu Verspätungen“ käme.

Nach dem Unglück von Paddington und den Berichten über mangelhafte Signale und Wartungsarbeiten kann Prescott aber die Verantwortung für die Sicherheit kaum in Railtracks Händen belassen. Ralf Sotscheck

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