: Mein Gott, Walter: War das knapp!
■ Bei den Wahlen in Berlin kann SPD-Spitzenkandidat Walter Momper 22 Prozent einfahren, während die CDU rund 40 Prozent erreicht. Die PDS holt auch im Westen Stimmen, die Grünen verlieren dagegen überall
Berlin (taz) – Die SPD hat so wenig verloren wie schon lange nicht mehr: Mit rund 22 Prozent haben die Sozialdemokraten bei der Berliner Landtagswahl gestern nur minimale Einbußen hinnehmen müssen. Allerdings hat es Spitzenkandidat Walter Momper dennoch geschafft, das schlechteste SPD-Wahlergebnis seit 1945 zu unterbieten. Schon vor vier Jahren hatten die Sozialdemokraten einen Minusrekord erreicht. 1963 kam der Regierende Bürgermeister Willy Brandt in Westberlin dagegen auf mehr als 60 Prozent.
Wahlsieger in Berlin war, geht es nach der Macht, die CDU, geht es nach den Prozenten, die PDS. Eberhard Diepgens Christdemokraten konnten nochmals einen deutlichen Stimmenzuwachs verzeichnen, die Partei liegt nun bei etwa 40 Prozent. Die PDS schoss von früher 14,6 Prozent auf etwa 18 Prozent und konnte auch im Westen Berlins rund 4,5 Prozent der Stimmen verzeichnen. PDS-Chef Lothar Bisky äußerte sich sehr zufrieden über das Ergebnis und sprach von einem „Schritt mehr in den Westen“. PDS-Fraktionschef Gregor Gysi erklärte, „uns ist es gelungen, einige Mauern abzubauen“.
Die Grünen mussten dagegen deutliche Stimmeneinbußen hinnehmen und erreichten nur noch etwa 10 Prozent. Spitzenkandidatin Renate Künast erklärte im Fernsehen, man müsse sich Gedanken über die Oppositionspolitik in Berlin machen – aber auch über die Rolle der Grünen in der Bundespolitik. Keine Rolle spielten gestern FDP und rechtsradikale „Republikaner“. Die „Republikaner“ erreichten etwa 3, die FDP 2 Prozent.
SPD-Spitzenkandidat Walter Momper gestand zwar die Wahlniederlage ein, behauptete aber zugleich, der negative Bundestrend für die Sozialdemokraten sei gestoppt. Dies zeige klar, dass die Politik von Gerhard Schröder und der Bundesregierung zunehmend akzeptiert werde. „Eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau“, nannte SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering das Ergebnis. Die SPD sei „aus dem tiefsten Tief heraus“. Hamburgs SPD-Bürgermeister Ortwin Runde meinte gar, der Wahlausgang mache „Mut für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW“.
Die Berliner Bündnisgrüne Sibyll Klotz schob die Ursachen für die grüne Niederlage auf die Bundespolitik ab. „Die Politik der Bundesregierung hat uns Punkte gekostet.“ Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne), die aus Berlin-Kreuzberg stammt, sah die Bündnisgrünen derzeit in einer „schwierigen Lage“ und nannte das Ergebnis „passabel“. Grünen-Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer sagte, die Politik der Bundesregierung werde zunehmend verstanden.
Das Wahlergebnis macht eine Fortsetzung der bestehenden Großen Koalition wahrscheinlich. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen will der SPD ein entsprechendes Gesprächsangebot machen. Diepgen sprach von einem „stolzen Wahlerfolg“ und wollte sich „ein Stückchen weit freuen“. Diepgen holte in seinem Neuköllner Wahlkreis 64,5 Prozent der Stimmen. CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky befürwortete ebenso ein weiteres Bündnis mit den Sozialdemokraten. Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Monika Buttgereit sagte dagegen, die Sozialdemokraten hätten nach diesem Ergebnis keinen Regierungsauftrag. „Eine Niederlage für die SPD“, nannte auch SPD-Fraktionschef Böger das Ergebnis: „Diese neue Bescheidenheit ist nicht mein Ding.“
Berlin bleibt politisch auch nach dieser Wahl weiterhin geteilt. Die CDU konnte im Westen mit 48,9 Prozent triumphieren, während sie im Osten auf 26,3 Prozent abfiel. Die Union legte besonders bei den Arbeitern zu. Die SPD erreichte im Westen 25,7 Prozent, im Osten nur 17,9. Dort wiederum glänzte die PDS mit 39,5 Prozent, im Westen 4,5 Prozent. Nur bei den Jüngeren erhielt die PDS unterdurchschnittliche Ergebnisse. Bei den Alten ab 60 schaffte sie ein Plus von 9 Prozent. Im Bezirk Mitte wurde die PDS mit 42,2 Prozent stärkste Partei. Die Grünen erreichten im Westen 11,9 Prozent, im Osten nur 6,4 Prozent der Stimmen. Ihre Hochburg Kreuzberg konnten sie mit 30 Prozent verteidigen. klh
Tagesthema Seite 3, Berichte Seiten 19 und 20
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