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Vor dem Freispruch

„Nichts Belastendes gegen Safwan Eid“: Gericht zog Zwischenbilanz im Prozeß um Brandanschlag in Lübecker Hafenstraße  ■ Von Elke Spanner

Wolfgang Claussen ist ein Anwalt, der sich gerne ins Rampenlicht stellt. Heute aber bleibt er in den Pausen sitzen und schickt seinen Kollegen Ulrich Haage zum Interview vor die Saaltür. Im Prozess gegen Safwan Eid geht es schon lange nicht mehr allein um dessen Schuld oder Unschuld. Es geht um Sieg und Niederlage, und Claussen steht heute als Verlierer da.

Richter Jochen Strebos hat soeben eine Zwischenbilanz gezogen und angekündigt, dass er Safwan Eid freisprechen wird – wenn sich nichts Verdächtiges mehr ergebe. Denn weder die Indizien, die in der ersten Instanz das Lübecker Landgericht gegen Eid zusammengetragen hatte, noch dessen in der Untersuchungshaft abgehörten Gespräche könnten ihn als Täter überführen.

Aber Claussen gibt nicht auf. Als Vertreter der Familie El Omari, die selbst in dem Haus in der Hafenstraße gelebt hatte und nun Nebenkläger im Prozess ist, hatte er das Verfahren vor dem Kieler Landgericht durchgesetzt. Er hatte gegen den ersten Freispruch Revision eingelegt und gefordert, dass die abgehörten Gespräche berücksichtigt werden müssen. Nun steigt er erneut in den Ring. „Wir teilen die Beweiswürdigung des Gerichts nicht“, bellt er in den Raum, und: „Safwan Eid hat Täterwissen offenbart.“

Die Lautstärke offenbart seine Erregung. Trocken erwidert Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke, dass er dieses Plädoyer schon vor dem Lübecker Landgericht gehalten und dem nichts Neues hinzuzufügen habe. „Sie werden sehen, dass Eid nicht nach Ihren Phantasien, sondern nach Tatsachen beurteilt wird.“

Die hat das Kieler Landgericht sorgfältig Punkt für Punkt abgearbeitet. Zunächst nahm Strebos unter die Lupe, was sein Lübecker Richterkollege Eid zur Last gelegt hatte. Aus dem Geständnis „Wir warn's“, das Eid damals während der Rettungsarbeiten einem Sanitäter gegenüber abgegeben haben soll, könne nicht auf seine Tatbeteiligung geschlossen werden. „Denn wer ist ,wir'? Die Hausbewohner? Die Araber? Die Familie?“ Wohl habe man in der Wohnung der Eids damals einen Benzinkanister gefunden, aber nicht festgestellt, dass der benutzt worden sei.

Dass Eid sich seines Kaftans im Krankenhaus entledigt habe, könnte einerseits als Spurenvernichtung interpretiert werden. Andererseits sei das Bedürfnis verständlich, sich von der verrußten Kleidung zu reinigen.

Auch die Gespräche Eids in der Untersuchungshaft haben „keine belastenden Indizien ergeben“, betonte Strebos. Eid habe nicht, wie der Polizeidolmetscher behauptet hatte, gesagt „wenn ich gestehen würde“, sondern „wenn ich gestorben wäre“. Sein Bruder habe nicht erwidert, er habe „alle Zeugen zum Schweigen gebracht“, sondern er habe sie „beruhigt“. Allenfalls aus zwei Passagen könnte Verdächtiges herausgelesen werden. Auf Spekulationen könne ein Urteil jedoch nicht gestützt werden, machte Strebos deutlich. Nach seinem kurzen Aufbäumen scheint Claussen wieder in sich zusammenzusinken. Als hätte er mit seinem Protest sein letztes Pulver verschossen, starrt er leer vor sich hin.

Für die Verteidigung Eids steht schon längst eine andere Frage auf der Tagesordnung – nun, da das Gericht den Freispruch in Aussicht gestellt und Strebos, wie Anwältin Heinecke sagt, „die Unschuld Eids noch mehr bestätigt, weil er auch die letzten Phantasien der Lübecker Richter weggewischt hat“. Nun stelle sich die Frage, wie es passieren konnte, dass aus dem Zeugen Eid der Angeklagte „und ein Unschuldiger in Untersuchungshaft genommen wurde“.

Auch das Gericht wird sich noch ausführlicher mit der Wandlung vom Brandopfer zum Tatverdächtigen befassen. Allein aus dem, was die damaligen Vernehmungsbeamten über die Verhöre Eids zu berichten haben, könnte sich noch Belastendes ergeben, führt Strebos aus. Deshalb sind die damaligen Ermittler noch als ZeugInnen geladen. Ehe Strebos dann sein Urteil sprechen wird.

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