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„Gerhardt muss weg“

■ Berlins Liberale wollen neue Ideen

„Oh, Scheiße“, entfährt es dem älteren Herren im eleganten Anzug. Seine Partei, die FDP, hat nach den ersten Hochrechungen bei der Wahl in Berlin nur 2,5 Prozent geschafft. Das endgültige Wahlergebnis liegt noch darunter: 2,2 Prozent. Die Stimmung auf der Wahlparty im Restaurant „Miljöö“ in Berlin-Mitte ist denkbar schlecht. Im Laufe des Abends wandelt sich die Enttäuschung in Empörung. Die Landespolitiker sind wütend auf den Bundesvorstand. „Jetzt muss etwas passieren“, fordert der Berliner Vorsitzende der Jungen Liberalen, Alexander Ritzmann. Parteichef Wolfgang Gerhardt müsse zurücktreten, Bundesvorstand und Präsidium neu gewählt werden: „Da sitzen lauter ehemalige Staatssekretäre und Minister – von denen sind keine neuen Ideen zu erwarten.“

Am Tag danach reagierte Wolfgang Gerhardt zunächst trotzig. Er räumte zwar „eine bittere Niederlage“ ein. Trotzdem werde er weitermachen: „Mir macht es Spaß.“ Doch sein erstarrtes Gesicht spricht Bände. Auch die Solidaritätsbekundungen aus dem Parteipräsidium ändern nichts mehr daran, dass Gerhardt nur noch Vorsitzender auf Abruf ist. Möglicherweise wird die FDP im November einen Sonderparteitag einberufen.

Am Wahlabend trat Generalsekretär Guido Westerwelle vor die Mikrofone. Es machte ihm keinen Spaß, zum vierten Mal hintereinander eine Niederlage bei einer Landtagswahl eingestehen zu müssen. „Wir werden strategische Konsequenzen ziehen müssen“, verkündet er. Der Misserfolg habe damit zu tun, dass das stimmige Programm den Wählern schlecht vermittelt worden sei. Jeder weiß, wer gemeint ist: Parteichef Wolfgang Gerhardt. Nach außen gibt sich Guido Westerwelle noch immer loyal gegenüber seinem Vorsitzenden, und doch ist nicht zu übersehen, wie gierig er nach dem höchsten Parteiamt trachtet.

Es ist jedoch keineswegs sicher, dass der aalglatte Westerwelle Gerhardts Nachfolger wird. Der ehemalige rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat die besseren Karten. Er ist ein jovialer Typ, der den starken Mittelstands-Flügel der Partei hinter sich hat. Der gewiefte Jungdynamiker Westerwelle kann von Gerhardt dann nur noch das Amt des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion erben. Als künftiger Generalsekretär ist der Ex-Europa-Spitzenkandidat Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch.

Er traute sich als einziges Vorstandsmitglied, den Rücktritt Gerhardts laut zu fordern. Spätestens auf dem Sonderparteitag müsse Gerhardt die Vertrauensfrage stellen. Das fordert seit Wochen auch der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Daniel Bahr – mit Rükkendeckung des schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Wolfgang Kubicki und des nordrheinwestfälischen Landesvorsitzenden Jürgen Möllemann.

Tina Stadlmayer, Berlin

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