Einkaufen bis Mitternacht und danach shoppen

■  Münchner ifo-Institut empfiehlt Aufhebung des Ladenschlusses. Ein anderes Gutachten stellt fest: Weniger Jobs trotz längerer Geschäftszeiten

Berlin (taz) – „Montag bis Samstag, 0 bis 24 Uhr“ soll nach Vorstellung des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung zukünftig auf den Ladenschildern für die Öffnungszeiten stehen. „Die sofortige Abschaffung des Ladenschlussgesetzes“ empfahl der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, gestern der Bundesregierung. Die ForscherInnen plädieren außerdem dafür, die Entscheidung über den freien Verkauf an Sonn- und Feiertagen in die Kompetenz der Länder und Kommunen zu übertragen. Zudem sollen alle Geschäfte an den vier Sonntagen vor Weihnachten öffnen können. Das zweite von der Bundesregierung beauftragte Haus, das Landesinstitut für Sozialforschung (SFS) in Dortmund, warnte, die Aufweichung des Ladenschlusses habe seit 1996 im Einzelhandel keine zusätzlichen Arbeitsplätze gebracht.

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Arbeit hatten die beiden Institute beauftragt, die Auswirkungen der Liberalisierung im Einzelhandel zu beurteilen und damit eine Basis für mögliche weitere Reformen zu schaffen. Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) sah gestern keinen dringenden Handlungsbedarf zur weiteren Liberalisierung. Die Staatssekretäre für Wirtschaft und Arbeit, Alfred Tacke und Werner Tegtmeier (beide SPD), waren vorsichtiger. Zumindest die Sonn- und Feiertagsruhe werde auch in Zukunft nicht angetastet, sagte Tegtmeier. Doch die Regierung hält sich ein Schlupfloch offen: Tegtmeier ließ durchblicken, dass er auch die Freigabe des Konsums an den vier Sonntagen im Advent nicht völlig ablehne. Für die Zeiten von Montag bis Samstag zeichnet sich nach den Debatten der vergangenen Monate ohnehin eine Lockerung des Ladenschlusses bis 22 Uhr ab.

CDU-Politiker, aber auch die SPD-Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein begrüßten gestern die Liberalisierungsforderung. Auch die Verbraucherverbände plädierten für mehr Einkaufsmöglichkeiten. Dagegen sprachen die Gewerkschaften HBV, DAG und ÖTV von „einer Bankrotterklärung der Liberalisierungsfanatiker“.

Diese Einschätzung beruht vornehmlich auf den Forschungsergebnissen des SFS. Trotz längerer Verkaufszeiten sei die Zahl der Jobs im deutschen Einzelhandel seit 1996 um sechs Prozent zurückgegangen, schreibt das SFS. Nur rund 21 Prozent der befragten Einzelhandelsgeschäfte hätten zusätzliche Stellen eingerichtet. 36 Prozent der LadeninhaberInnen reduzierten dagegen ihr Personal.

Auch die vom ifo-Institut präsentierten Umsatzzahlen stimmen nicht euphorisch. 23 Prozent der 2.500 befragten Geschäftsinhaber hätten einen wesentlich höheren Umsatz in Folge der zusätzlichen Verkaufsstunden registriert. Die Hälfte der Einzelhändler konnte aber keine Steigerung der Nachfrage erkennen. Und wenn überhaupt jemand profitiert, sind es eher die großen Kaufhäuser als die kleinen Mittelständler. „Weder hat die Liberalisierung das Wachstum verstärkt noch die Beschäftigung erhöht“, fasste Wirtschaftsstaatsekretär Tacke zusammen. Hannes Koch

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