Zitterpartie für Kataloniens Nationalisten

■ Nach zwei Jahrzehnten an der Macht droht Präsident Jordi Pujol eine Wahlniederlage. Sozialist Pasqual Maragall dank der Einwanderer aus Südspanien im Aufwind

Die katalanischen Nationalisten haben sich mit dem Beharren auf ihrer eigenen Kultur nicht nur Freunde gemacht

Berlin (taz) – Jordi Pujol regiert nicht in Katalonien. Er ist Katalonien. Das zumindest versucht der Nationalist im Wahlkampf in Szene zu setzen. Vergangenen August stieg der Parteichef von Convergencia i Unio (CiU) und Präsident der Autonomieregierung der Generalitat eigens auf einen der in der katalanischen Mythologie heiligen Berge, um von dort per Mobiltelefon das Regionalparlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen.

Der Berg Aneto dient Pujol als Symbol seiner knapp 20-jährigen Regierungsmacht, der Aufstieg soll die Vitalität des 69-Jährigen demonstrieren. Jetzt wird die Luft auf dem Gipfel dünn. Der Sozialist Pasqual Maragall, von 1982 bis 1997 Bürgermeister von Barcelona, könnte am Sonntag die Wahlen gewinnen und einen tiefgreifenden Wandel in der Politik der Region rund um Barcelona einleiten.

Zur Wahl stehen zwei grundsätzlich verschiedene politische und gesellschaftliche Konzepte, und das nicht nur für Katalonien, sondern für das gesamte Spanien. Pujol steht für einen Aus- und Aufbau der Region. Mit der eigenen Sprache und Kultur Kataloniens begründet er die Forderung nachSonderrechten für die autonome Region und hatte damit in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchaus Erfolg. Katalonien regiert sich weitgehend selbst. 30 Prozent der Steuern bleiben vor Ort. Sozialversicherungen, Bildungs- und Gesundheitssystem werden nicht wie in anderen Regionen von Madrid, sondern von Ministerien in Barcelona verwaltet. Der größere politische Spielraum trägt Früchte: Katalonien gehört zu den reichsten Regionen Spaniens.

Doch der Nationalismus hat auch seinen Preis. Immer mehr Intellektuelle beklagen sich über die ausschließliche Förderung katalanischsprachiger Kultur. Das habe zu provinzieller Verarmung geführt. Sie unterstützen ebenso wie die Einwanderer aus dem armen Süden Spaniens, aus Andalusien, den 58-jährigen Sozialisten Pasqual Maragall.

Noch nie wurden die Menschen im Industriegürtel Barcelonas so umworben wie in diesem Wahlkampf. Maragall ließ eigens den ehemaligen spanischen Regierungschef Felipe González und den sozialistischen Ministerpräsidenten Andalusiens, Manuel Chaves, einfliegen, um mit deren Hilfe die Einwanderer an die Urnen zu bringen. Je höher die Wahlbeteiligung, umso wahrscheinlicher gilt sein Sieg. Die Sozialisten erhoffen eine Trendwende, vier Jahre, nachdem sie die spanische Regierung in Madrid an José Maria Aznar von der konservativen Volkspartei (PP) abtreten mussten.

Um einen Sieg Maragalls zu verhindern, versucht auch Pujol in den Arbeitervierteln auf Stimmenfang zu gehen. Mit mäßigem Erfolg. Obwohl er statt auf Katalanisch – das hier nur wenige sprechen – seine Meetings auf Spanisch abhielt, wurde er meist nur ausgepfiffen. Die Menschen fühlen sich von Pujols „Leidenschaft für Katalonien“ – so der Titel seiner während des Wahlkampfes veröffentlichten Autobiografie – ausgegrenzt. Sie wollen kein Katalonien, das sich vom Gängelband Madrids zu befreien sucht, dabei aber immer unsolidarischer mit den armen Regionen Spaniens umgeht. Maragalls „Föderalstaat Spanien“ ist bei ihnen die populärere Idee.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnet sich ab. Selbst wenn Pujol – wie die meisten Umfragen vorhersagen – knapp gewinnen sollte, sind die Zeiten seiner absoluten Mehrheit vorbei. Im Fall eines Wahlsieges bliebe ihm nur eine Koalition mit der PP Aznars übrig. Im Madrider Parlament arbeiten beide Parteien seit knapp vier Jahren zusammen.

Viele nationalistische Wähler haben Pujol die Unterstützung des Aznar-Kabinetts nie verziehen. Die PP widersetzte sich immer wieder der von Pujol betriebenen Katalanisierung der Schulen, Universitäten und Medien der Nordregion. Ein gemeinsames Regieren auch in Barcelona könnte Pujol und seine CiU spätestens in vier Jahren endgültig in Schwierigkeiten bringen.

Reiner Wandler