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Gewissensfragen

Sie essen kein Schweinefleisch, beten – und schießen: etwa fünftausend muslimische Soldaten bei der Bundeswehr. Verteilt auf die Einheiten, sind sie eher Ausnahmen. Doch das wird sich in den kommenden Jahren ändern. Um ihr Seelenheil, so fordern muslimische Verbände, sollen sich Heeresimame kümmern, so wie christliche Amtskollegen auch. Ein Besuch in einer Kaserne von Julia Gerlach

Es riecht nach Mann. Sohlen schlagen solide auf das Linoleum. Eine Tür fliegt auf. Zehn Augen blicken geradeaus, fünf Kinne schnellen hoch, noch nicht ganz auf einer Linie, aber fast. Man übt noch. „Stehen Sie bequem!“ brüllt der Zugführer. Die fünf schlackern mit den Beinen, blicken verlegen. Wir wollen über Religion reden. Schüchtern setzen sie sich an den gedeckten Tisch: Kekse und Kaffee in Thermoskannen. Man bemüht sich um guten Eindruck.

Erst seit zehn Tagen tragen Anis Zaatir, Omar al-Khatib, Masen Khattab, Yunus Mucuk und Mohamad A. die Uniform der Bundeswehr und leisten im Jägerbattaillon in Berlin-Kladow ihren Wehrdienst. Als eben das Kommando kam: „Antreten!“, da waren die fünf gespannt. Vielleicht gibt es jetzt einen kleinen Gottesdienst, vielleicht will ein Geistlicher mit uns über den Islam sprechen? Stattdessen ein Interview. Also gut.

Wie fühlt man sich als Muslim bei der Bundeswehr? „Ist eigentlich ganz okay hier“, sagt Yunus Mucuk. Seine Augen huschen zum Kompaniechef, auch er will hören, was die fünf sagen, und sitzt am Kopfende des Tisches. Es werde Rücksicht genommen. „Kein Schweinefleisch und so“, der 23-jährige Abiturient wird sicherer. Gleich nach Dienstantritt, bei der Untersuchung durch den Bundeswehrarzt, habe er gesagt, dass er Muslim ist, und bekam daraufhin ein Rezept: schweinefleischfreies Essen für den Rekruten Mucuk. „Wir haben damit gerechnet, dass Sie nachfragen“, kommt Kompaniechef Markus Kühlbacher zuvor: „Die Religion wird natürlich nicht als Krankheit gesehen“, aber die Dinge müssen ihre Form haben. „Für uns gibt es beispielsweise Putenschnitzel. Manchmal ist es aber auch nur ein Brot mit Senf, wenn die anderen Wurst essen, aber das ist nicht so schlimm“, sagt Omar al-Khatib. Er sei sehr religiös, halte sich an die Gebote des Islam, fastet, betet und plant eine Pilgerfahrt nach Mekka.

Derzeit kommt der 20-jährige nicht so recht zum Beten: In diesen ersten zehn Tagen der Grundausbildung war dafür einfach keine Zeit. Einen Gebetsteppich hat er gar nicht erst mitgebracht: „Im Spind ist dafür kein Platz“, sagt er knapp. Früher habe er den Teppich manchmal mit auf Klassenfahrten genommen. „Aber die Mitschüler haben Schabernack getrieben“, ihn während des Gebets mit allerlei Dingen beworfen. „Wenn Gymnasiasten sich so aufführen, da muss man sich in der Kaserne auf noch mehr gefasst machen.“ Bisher sei aber alles gut gegangen. Natürlich haben alle fünf die Meldungen über Rechtsradikale in der Truppe verfolgt. „Manchmal wissen die Kameraden oder Vorgesetzten nicht, wie sie meinen Namen aussprechen sollen“, sagt Omar al-Khatib und grinst. Sonst sei nichts. Man nimmt Rücksicht.

„Mir fällt es am schwersten, dass ich von meiner Familie getrennt bin“: Das weiche Gesicht und die großen Augen des 19-jährigen Masen Khattab stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu seiner neuen Uniform. Die Familie. Vater und Mutter kamen beide als Gastarbeiter aus Syrien nach Berlin. Schon im Kindergarten fühlte er sich anders als die anderen Kinder: „Wegen der Religion“, erklärt er: Es gab das Draußen, die deutsche religionsfreie Umgebung und das Zuhause, die Geborgenheit, den Islam. Jetzt ist er das erste Mal von zu Hause fort.

Mohamad A. zappelt auf seinem Stuhl. „Ich komme aus Neukölln“, sagt er: „Da ist alles voll mit Religion und muslimischen Leuten.“ Und ehrlich gesagt sei er ganz froh, davon wegzukommen. „Die Brüder rümpfen ja die Nase, wenn ich mir eine Rostbratwurst hole und so.“ Er hat wohl auch ein bisschen komisch geguckt, als er das erste Mal in die Bundeswehrkantine kam und der Koch sagte: „Oh, du bist Muslim, da kriegst du anderes Essen.“ Wäre ja nicht nötig gewesen. Der gelernte Restaurantfachmann ist bei der Truppe, weil er dazugehören will. Als er einem Stammkunden, einem Herrn der alten Schule, erzählt hat, dass er jetzt zum Bund muss, habe der ihm anerkennend auf die Schulter geklopft. Weiter so, junger Mann!

Es ist Freitag, das Wochenende steht vor der Tür. Die fünf wollen gehen. „Wenn wir pünktlich Dienstschluss haben und ich mich beeile, dann schaffe ich es noch zum Freitagsgebet in meine Moschee“, sagt Omar al-Khatib. Ein gemeinsames islamisches Gebet, vergleichbar mit den monatlichen christlichen Gottesdiensten, gibt es in der Kaserne bisher nicht. „Wir werden bestimmt bald auch Heeresimame bekommen“, sagt der katholische Standortpfarrer Georg Klar. Er ist unter anderem auch für Kladow zuständig, versucht die muslimischen Soldaten mitzubetreuen. Doch wenn auf religiöse Fragen islamische Antworten gefragt sind, dann stößt er an seine Grenzen. Ähnlich wie beim umstrittenen Islamunterricht in Schulen fehlt dem Staat ein offizieller Vertreter muslimischer Interessen, mit dem der Einsatz von Heeresimamen erörtert werden könnte. Noch.

Heeresimame gab es schon mal in einer deutschen Armee. Im Zweiten Weltkrieg kämpften 25.000 muslimische Soldaten unter den Fahnen von Wehrmacht und Waffen-SS. Es waren Freiwilligenverbände – aus Bosnien, der Sowjetunion und der arabischen Welt. Für sie wurden in Dresden und Göttingen in speziellen Mullahschulen Imame ausgebildet. „Dies kann allerdings für uns kein Vorbild sein. Diese Imame haben die Moral der Truppe gestärkt, die anschließend von den Nazis grausam verheizt wurde“, erklärt Wolf Aries. Er ist Wahlmuslim und Reserveoffizier, seit dreißig Jahren bei der Truppe und setzt sich für die Belange der wenigen Muslime dort ein.

Omar al-Khatib schafft es zwar an diesem Freitag nicht mehr zum Gebet. Dafür hat er Wochenende und sitzt bequem im Wohnzimmer seiner Eltern in Berlin-Reinickendorf: ruhige Nebenstraße, Vorgarten, Gartenzaun, Doppelgarage. Der Vater kam zum Studium aus Syrien nach Deutschland, lernte eine Frau kennen und blieb. „Die übliche Geschichte“, sagt der Sohn. Etwas umständlich gießt er Filterkaffee in die Zwiebelmustertassen. „Naja, arabische Gastfreundschaft ist mir wichtig.“ Er bietet Schokolade an. „Ich hätte auch verweigern können“, sagt er dann, aber der Zivildienst hätte länger gedauert, und er will schnell an die Uni, Physik studieren wie sein Vater. Von dem hat er auch die Religiosität.

Manche muslimische Gelehrte sagen, ein Muslim solle nicht einem ungläubigen Staat dienen, schon gar nicht in dessen Armee, und womöglich gegen Glaubensbrüder zu Felde ziehen. „Andere sagen, man soll sich an die Regeln des jeweiligen Landes anpassen“, entgegnet er. Auch das Gelöbnis, das er am heutigen Samstag ablegen soll, ist für ihn kein Problem. Jeder Rekrut kann aus Gewissensgründen auf die Formel „So wahr mir Gott helfe“ am Ende des Gelöbnisses verzichten. „Aber, wir haben doch den gleichen Gott“, meint er. Aus Gewissensgründen verzichten würde er allerdings auf einen Auslandseinsatz. Wenn es Frieden geben sollte zwischen Syrien und Israel und die Bundeswehr im Rahmen einer Friedenstruppe auf die Golanhöhen geschickt werde: „Gewehr bei Fuß – vielleicht den eigenen Cousins gegenüberzustehen, das könnte ich nicht“, sagt er. Zum Bund zu gehen, um dazuzugehören, hält er für einen Trugschluss. „Im Zweifelsfall ist man immer der Ausländer.“ Doch jetzt ist Wochenende, das erste außerhalb der Kaserne. Omar al-Khatib schwingt sich in den schwarzen Sportwagen Cabriolet, gibt Gas. Er will Kumpel treffen, vielleicht ins Kino.

Am anderen Ende der Stadt hält Anis Zaatir die Stellung. Im Zeitungskiosk seiner Mutter in Britz. Am Wochenende soll die Mutter, sie kam – genauso wie der Vater – vor vielen Jahren aus Tunesien, frei haben. „Mensch Anis, warste beim Friseur?“: Das Mädchen grinst ihn über den Ladentisch an und kauft ein Päckchen Kaugummi. „Und, sieht gut aus, oder“, er streicht sich über den Raspelschnitt. Statt Uniform trägt er ein cooles Shirt. Seine Erkennungsmarke hat er gegen eine fette Goldkette getauscht. Als Talisman dient ihm ein Schlüsselanhänger. Fatimas Hand schützt gegen den bösen Blick. Einen Imam in der Kaserne? „Na ja, wir sind doch so wenige, das wäre zuviel verlangt.“ Aber brauchen könnte er ihn schon, ihm seine Fragen zu beantworten. So weiß er noch nicht so genau, wie er sich beim Gelöbnis verhalten soll. „Wenn ich wirklich geloben soll, das müsste ich eigentlich auf Arabisch tun, noch eine islamische Formel dranhängen, sonst ist es nicht ernst.“

Ob mit Deutschen ausländischer Herkunft das Nachwuchsproblem der Truppe behoben werden soll? Wer weiß. 1998 haben 171.657 Wehrpflichtige verweigert. Das sind 16.418 mehr als im Jahr zuvor. Bei den Söhnen der Einwanderer hingegen gehe der Trend eindeutig zum Kriegsdienst, das hat zumindest das Islam Archiv in Soest herausgefunden. – „Ich hätte auch zur tunesischen Armee gehen können“, sagt Anis Zaatir, doch das wäre hart geworden. „Ich kenne mich ja in Tunesien nicht so gut aus, was, wenn die mich zum Dienst in die Wüste geschickt hätten?“ Und verweigern? Da kommt der jüngere Bruder in den Laden: „Der Vater ist so stolz, dass sein Ältester jetzt Soldat ist.“ Bei der Armee wird ein Mann zum Mann, so sagt man in Tunesien.

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