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Ein Film vom Vergessen und Erinnern

■ Eine Bremer Filmpremiere: „Die Kinder von Bulldogs Bank“ von Beatrix Schwehm

Eigentlich wollte sie einen ganz anderen Film machen: Die Bremer Filmemacherin Beatrix Schwehm hatte durch ein Buch von Anna Freud von den „Kindern von Bulldogs Bank“ erfahren, einer Gruppe von jüdischen 3-jährigen Waisen, die Theresienstadt überlebten und 1945 in ein Waisenhaus in England gebracht wurden. Von deren Freundschaft wollte sie erzählen; darüber, wie sie als verschworene Gemeinschaft so stark waren, dass sie das KZ überstanden, und was nach über 50 Jahren aus dieser Freundschaft geworden ist. Für ihr Exposé erhielt sie den Förderpreis des Bremer Filmbüros. Mit diesen 10.000 Mark konnte sie ihre Recherchen beginnen.

Drei ehemalige „Kinder von Bulldogs Bank“ fand sie in England und den USA. Doch bei den ersten Gesprächen ergab sich ein unlösbares Problem: Keiner von den dreien erinnerte sich an die Zeit im Lager und im Waisenheim, und sie hatten seit damals keinerlei Kontakt mehr miteinander. Gerade dieses Vergessen und diese Zer-splitterung sind nun die Grundthemen des Films, denn die ganz verschiedenen Lebensläufe von Berl, Jack und Joanna verbindet ihre Suche nach der eigenen Identität, dem dunklen Fleck in ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

„Zuerst waren sie nur bockig. Alle Erwachsenen waren für sie böse“, erinnert sich eine alte jüdische Kinderpflegerin an ihren ersten Eindruck von den Kindern. Mit dieser Interviewpartnerin hat Beatrix Schwehm einen Glücksgriff getan, denn sie erinnert sich noch genau an die Kinder. Und sie kann präzise und oft komisch ihren Aufenthalt in Bulldogs Bank beschreiben. Durch ihre Erzählungen bekommt der Film sein solides Fundament, durch das die diffusen Erinnerungen von Joanna, Berl und Jackie geerdet werden. Jackie konnte sich zum Beispiel lange Zeit an nichts erinnern. Seine Adoptiveltern behandelten ihn wie einen normalen englischen Jungen. Er wurde in seine erste Identitätskrise gestürzt, als seine Großmutter ihm sagte, er sei eigentlich ein „Österreicher“. Joanna erinnert sich an das Gefühl, mit dem Flugzeug von Deutschland aus in einem völlig fremden Land gelandet zu sein, in dem niemand ihre Sprache spricht. Bert erzählt am liebsten von seinen Lausbubenstreichen.

Für diese Erinnerungs-Partikel hat Schwehm eine stimmige filmische Entsprechung gefunden: Während für die meiste Zeit konventionell die gerade Sprechenden gezeigt oder die Erzählungen durch Fotos und Dokumente illustiert werden, gibt es einige Szenen in verschwommenem Schwarzweiß, in leichter Zeitlupe und mit Untersicht, in denen die Regisseurin versucht, poetisch die Perspektive der Kinder inachzuempfinden. Man ahnt mehr als das man es sieht, dass man sich durch einen Garten oder Park bewegt – man weiß nicht wo, wann und warum man durch diese beeindruckenden Einstellungen schwindelt.

Nach einem Jahr in Bulldogs Bank werden die Kinder getrennt, und ihre Schicksale entwickeln sich scheinbar völlig unterschiedlich. Aber ob als Hausfrau, Taxifahrer oder Vietnam-Veteran, sie bleiben immer Außenseiter. Und sie können nicht, wie andere Holocaustüberlebende, die körperlichen Verletzungen und Tätowierungen vorzeigen – ihre Narben sind in den Seelen zu suchen, und dies visualisiert Beatrix Schwehm in einem angemessenen Stil, indem sie alles Spektakuläre weglässt.

Manchmal ist der Film überraschend witzig, etwa wenn der sonst melancholische Jackie von seinem Besuch in Theresienstadt erzählt: „Sie haben Geld für den Eintritt verlangt, beim ersten Mal bin ich noch umsonst hineingekommen.“ Wenn Berl, Jack und Joanna während der Interviews weinten, sollte der Kameramann „aufziehen“, also keine Nahaufnahme drehen. Diese Entscheidung, in der sich das Stilistische mit dem Moralischen trifft, bringt die Qualitäten des Films vielleicht am besten auf den Punkt.

Wilfried Hippen

Der Film ist im Kino 46, So-Di, jeweils um 18.30 Uhr zu sehen (Premiere, Sonntag, 11 Uhr, ausverkauft)

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