: Die Schwierigkeit, wieder heimisch zu werden
■ Hans Frankenthal, Ex-Zwangsarbeiter in Auschwitz, berichtet vom KZ und dem, was danach kam
Drei Tage dauerte die Fahrt mit unbekanntem Ziel. Dann, spätabends, hielt der Zug. Krachend flogen die Waggontüren auf, und SS-Männer trieben die Menschen auf die Rampe. Hans Frankenthal, Sohn eines jüdischen Viehhändlers und damals 16 Jahre alt, war in Auschwitz angekommen.
Die Selektion sofort bei der Ankunft überlebte er, weil er sich älter machte: Zusammen mit seinem Bruder Ernst wurde er den arbeitsfähigen Männern zugeteilt und in das KZ Auschwitz-Monowitz gebracht. Monowitz war das erste KZ, das von einem Privatunternehmen initiiert und finanziert worden ist. Fünf Millionen Reichsmark hat die IG Farben AG in das Lager investiert. Die Häftlinge wurden auf einer riesigen Baustelle des Konzerns eingesetzt. Hans Frankenthal bekam einen „privilegierten“ Posten: Als Schlosser in der Hochmontage hatte er wenig Berührung mit der SS.
Sein Bericht über zwei Jahre Zwangsarbeit auf der IG-Farben-Baustelle und das Leben im Lager steht im Mittelpunkt seiner Autobiografie „Verweigerte Rückkehr“. Drei junge Historiker haben Frankenthal interviewt und seine Erinnerungen durch ein informatives Glossar ergänzt. Dort kann man z. B. nachlesen, dass die durchschnittliche Überlebensdauer der Häftlinge in Monowitz bei drei bis vier Monaten lag. Etwa 30.000 Menschen wurden allein in diesem Lager ermordet.
Im Januar 1945 wurde das Lager überraschend geräumt. Für etwa 9.000 Insassen des KZ Monowitz begann der so genannte „Todesmarsch“. Nur wenige der ausgemergelten Häftlinge überlebten den Gewaltmarsch durch Schnee und Eis. Hans Frankenthal kam nach Theresienstadt. Dort wurde er gegen Kriegsende befreit. Zusammen mit seinem Bruder kehrte er in seine Heimatstadt Schmallenberg zurück.
Mit dem schwierigen Versuch, dort wieder heimisch zu werden, befasst sich der zweite Teil des Buches. Die Nachbarn benahmen sich zunächst so, als wären die Frankenthal-Brüder gar nicht wiedergekommen.
Trotzdem baute Hans hier den väterlichen Viehhandel wieder auf. Aber bis heute ist er, der sich stets bemüht hat, ein ganz gewöhnlicher Bürger in Schmallenberg zu sein, immer wieder mit Verdrängung, Ausgrenzung und Verlogenheit konfrontiert. Das Gefühl, fremd zu sein, hat er nie verloren.
Nach dem Ende seines Berufslebens kamen quälende Erinnerungen zurück. Hans Frankenthal las jedes Buch, jeden Artikel zum Thema Auschwitz und begann über seine Vergangenheit zu sprechen. Im Zentralrat der Juden in Deutschland, als Vize-Vorsitzender des Auschwitzkomitees in der BRD und als Vertreter der Kritischen Aktionäre setzt er sich dafür ein, auf das Schicksal der Zwangsarbeiter aufmerksam zu machen. Sein lesenswertes Buch ist Teil dieser Aufklärungsarbeit. Weil er hofft, dass es besonders auch von Jugendlichen gelesen wird, hat er, soweit möglich, auf die Schilderung von Grausamkeiten verzichtet: „Es reicht, wenn ich jede Nacht Albträume habe und nicht schlafen kann.“ Angela Martin ‚/B‘Hans Frankenthal: „Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord“. Unter Mitarbeit von Andreas Plake, Babette Quinkert und Florian Schmaltz. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1999, 190 Seiten, DM 18,90
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