: Staatsanwalt erklärt Schill für befangen
■ Anklage fordert 50 Tagessätze als Strafe – Richter verurteilt zu 14 Monaten Knast
Staatsanwälte bringen Straftäter vor Gericht. Gestern indes sah sich Ermittler Robert Jungck veranlasst, den Angeklagten Ralf B. vor dem Gericht in Schutz zu nehmen. Denn Ralf B., der sich der politisch linken Szene zuordnet, soll im Februar versucht haben, in der Hafenstraße einen Plakatierer aus den Fängen der Polizei zu befreien – und sein Richter hieß gestern Ronald Schill. „Der Angeklagte muss den Eindruck haben, dass ihm bei diesem Gericht keine gerechte Strafe widerfahren könnte“, sagte Staatsanwalt Jungck und schloss sich damit dem Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen Schill an. Der lehnte ihn jedoch aus formellen Gründen ab.
Schills politische Ansichten „sind der Bewertungsmaßstab für seine Urteile, und meine politischen Ansichten stehen frontal denen Schills gegenüber“, begründet Ralf B. seinen Befangenheitsantrag. Zudem werde er des Widerstands gegen Polizeibeamte beschuldigt, welche durch diesen Richter besonders beschützt würden, und der Vorfall habe sich in einer von Schill als „rechtsfreier Raum“ titulierten Gegend abgespielt.
Der Amtsrichter hört mit geneigtem Kopf scheinbar regungslos zu. Ralf B. spricht über ihn in der dritten Person; an der Mimik Schills ist nicht abzulesen, dass er es ist, dem soeben vorgeworfen wird, seine politischen Ansichten auf Kosten der Angeklagten zu präsentieren. Bis der Staatsanwalt sich dem Befangenheitsantrag anschließt. „Sie haben in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen, sich in den Medien über ,rechtsfreie Räume' zu äußern und angeblich zu lasche Urteile zu kritisieren“, hält er dem Amtsrichter vor. Damit ist der Ring eröffnet. Erst diffamiert Schill ihn als rechtsunkundig, dann fragt er Jungck herablassend, ob er sich dennoch „dazu durchringen“ könne, die Anklage zu verlesen. Der kontert später, als er zur Stellungnahme zu einer Rechtsfrage aufgefordert wird. „Das Gericht ist doch allwissend“, spottet Jungck. Zu dem Zeitpunkt hat der Anwalt des Angeklagten aus Protest dagegen, dass Schill die Verhandlung trotz des Vorwurfs der Befangenheit stur durchzieht, schon längst den Saal verlassen.
Am Schluss bleibt Schill sich selbst wieder treu. „Gewalt ist die Saat, die in rechtsfreien Räumen wächst“, doziert er und beklagt, dass das „Herumschubsen von Polizisten in dieser Stadt Normalität“ geworden sei. Der Staatsanwalt fordert wegen des Vorwurfes der versuchten Gefangenenbefreiung und Widerstandes gegen Polizeibeamte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen. Schill verurteilt Ralf B. zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis. Elke Spanner
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